Kritik zu Coconut Hero
Regisseur Florian Cossen zieht es nach seinem in Argentinien spielenden Debüt »Das Lied in mir« wieder in die Fremde: Im neuen Coming-of-Age-Drama schildert er die Selbstfindung eines todessüchtigen Teenagers in der kanadischen Provinz
Teenager Mike heißt mit Nachnamen ausgerechnet Tyson. Dies verstärkt noch den Spott, den der stille Junge tagtäglich auf sich herabregnen lässt. Mikes Ausbruch aus seiner passiven Haltung besteht in der Planung seines Selbstmordes. Doch sein Kopfschuss führt nur zu einem kurzen Krankenhausaufenthalt. Immerhin wird dabei entdeckt, dass Mike einen Gehirntumor hat, der, wenn nicht bald eine Operation erfolgt, ohne weitere Anstrengungen seinerseits zu seinem Ableben führen würde. Doch das Projekt Tod lässt ihn zusehends lebendiger werden. Weil etwa Särge zu teuer sind, beginnt er mit geklauten Brettern seinen eigenen Sarg zu zimmern. Außerdem hat er vor seinem missglückten Gewehrschuss eine Traueranzeige für sich selbst aufgegeben. Dies lockt nun auch seinen Vater, der Mike und seine Mutter seit langem verlassen hat, aus der Deckung.
Die Verstörungen der Pubertät liefern seit jeher wohlig melancholische Coming-of-Age-Dramen mit viel Identifikationspotenzial. Davon zeugt auch die Publikumsbegeisterung auf dem Münchner Filmfest, wo Florian Cossens zweiter Film nach seinem vielversprechenden Debüt »Das Lied in mir« uraufgeführt wurde. Seine deutsch-kanadische Tragikomödie spielt in einem Provinzkaff im Nirgendwo. Cossen gelingt es vor allem, jenes nagende Gefühl des Nichtdazugehörens spüren zu lassen, das Mike quasi zu einem lebenden Toten macht, der das Getriebe der Welt wie durch eine Panzerglasscheibe betrachtet. Zwar ist angesichts der ständig wütenden Mutter und des abwesenden Vaters schnell klar, wo der Schuh drückt, doch der Film vermeidet sowohl Zeigefinger wie auch Pathos.
Stets auf Augenhöhe mit dem Antihelden, wirkt die Parade der offiziellen Helfer – ein anbiedernder Pfarrer, ein schläfriger Sozialarbeiter, ein barscher Psychiater – so merkwürdig surreal wie das von weiten Wäldern umgebene Städtchen. Handfest ist nur Mikes Turntherapeutin Miranda. In dem befreienden Wissen, dass ohnehin bald alles egal ist, kommt er aus seinem Schneckenhaus heraus, was zu unerwarteten Kettenreaktionen führt. So entrollt sich die Handlung wie von selbst. Nicht nur die charmant lakonische Stimmung nimmt einen für diesen stilsicheren kleinen Film ein; auch Sebastian Schipper als schweigender deutschstämmiger Vater und Udo Kier als Psychiater mit Frankenstein-Appeal tragen ihr Quäntchen zur Atmosphäre alltäglicher Entfremdung bei.
Von diesem inszenatorischen Feingefühl ausgenommen sind leider die platten Frauencharaktere. Wie glaubhaft ist es etwa, dass eine ansonsten normale Mutter ihren nach dem Selbstmordversuch geretteten Sohn grausam zusammenstaucht? Nichts von seinem Sargbau mitbekommt? Eine Kopfgeburt ist vor allem die engelhafte Miranda, die Mikes Schwermut stets mit allzeit bereiter Lässigkeit begegnet – und in einem erstaunlich billigen Ende als romantische Erlöserfigur instrumentalisiert wird. Wenn erwachsen werden bedeutet, sich in andere hineinzuversetzen und die eigenen Qualen zu relativieren, dann bleibt zumindest der Film in der pubertären Phase stecken.
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