Kritik zu Cats
Für die Filmversion des ungeheuer populären, 1981 uraufgeführten Musicals »Cats« verwandeln sich Stars wie Taylor Swift, Judi Dench und Ian McKellen mittels Computeranimation in Katzen, die vom Glück und Elend eines Streunerlebens singen
Ein einziger leibhaftiger Mensch hat es in das Filmmusical geschafft – eine schattenhafte Frau, die zu Beginn nachts einen Sack in einen Hinterhof wirft. Aus dem Sack kämpft sich etwas hervor, das ein verschüchtertes weißes Kätzchen darstellen soll, tatsächlich aber, wie sich viele Stimmen im Vorfeld des Filmstarts von »Cats« empörten, an ein Alien erinnert. Auf den ersten Blick wirken der via Motion Capture-Animation mit Fell überzogene Menschenkörper und der Kopf, in dem ein Menschengesicht in spitze Katzenohren übergeht, etwas unheimlich. Doch wer das Musical nicht kennt und mithin keine Vergleichsmöglichkeit hat, der hat sich an die virtuellen Menschenmiezen schnell gewöhnt. Allen Diskussionen über missratene Animation zum Trotz ist die Filmversion von Andrew Lloyd Webbers berühmtem Musical neben einem lautstarken auch ein sehr unterhaltsames Spektakel.
Leichte inhaltliche Abwandlungen erscheinen sinnvoll; so wird das Geschehen dieser Londoner Nacht aus der Sicht von Victoria (die Primaballerina des Royal Ballet, Francesca Hayward), die zuvor nur eine kleine Rolle hatte, geschildert und somit die Musicalnummern stärker verbunden. Das Kätzchen begegnet nacheinander den Mitgliedern der »Jellicle«-Katzenhorde, die auf den jährlichen Ball hinfiebert. Bei diesem Gesangswettbewerb winkt dem Sieger der Aufstieg in den »sphärischen Raum«, den Katzenhimmel. Nur die ausgesetzte Katze Victoria hat Mitleid mit der ausgestoßenen Grizzabella, der Interpretin des ikonischen und tränenreichen »Memory«-Songs.
Neben einigen durch die Filmdauer bedingten Kürzungen betrifft die augenscheinlichste Neuerung die Kulisse. Statt über einen Schrottplatz streunen die Katzen nun durch das Soho der dreißiger Jahre. Im Gegensatz zu den Katzenkörpern sind die Kulissen handgemacht und auch mit ihren kätzischen Leuchtreklamen ein Augenschmaus, selbst wenn die nicht maßstabsgerechten Proportionen zwischen Tier und Menschenumgebung oft irritieren.
Tom Hooper (»The King's Speech«) inszeniert die Katzenrevue ohne ironisches Augenzwinkern und ganz auf den oft abgründigen Humor des Originals vertrauend, das wiederum auf Gedichten von T. S. Eliot basiert und von fern an Jean de la Fontaine gemahnt. Und während auf der Bühne der Mummenschanz einem wilden Fastnachtstreiben ähnelt, bei dem man stets befürchtet, dass irgendwann der Klebstoff für die Schnurrhaare versagt, tritt im Film gerade durch die bruchlos animierten Zwitterwesen umso deutlicher hervor, wie »kinky« diese menschliche Spiegelung im ikonischen Katzentier im Grunde ist. So bekommt, ohne das der »Camp«-Aspekt extra betont werden muss, das Hin und Her zwischen animalischen Es und zivilisiertem Über-Ich eine neue Qualität. Es macht außerdem großen Spaß mitzuerleben, wie Judi Dench als Katzenpatin Alt-Deuteronimus auch im rosa Pelzcape und mit struppiger Halskrause Würde ausstrahlt, Idris Elba als Schurke Macavity faucht, und Rebel Wilson als phlegmatische Stubentigerin vom Sessel kullert. Kurz: ein Musical, das trotz vieler Macken viel zauberhafter ist, als es der Musicalhasser erwartet hätte.
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