Kritik zu Buena Vista Social Club
Ein imaginärer Film mit dem Titel »Buena Vista Social Club« könnte von einem ganz einzigartigen Projekt erzählen. Da ginge es um rund 20 kubanische Musiker, die meisten von ihnen im hohen Rentenalter, und um ihre Rückkehr aus der Vergessenheit. Über Illusionen und Träume vom großen Durchbruch wären sie längst hinaus, und dennoch gewährten der Zufall oder das Schicksal oder alle beide ihnen eine unverhoffte Chance: Gemeinsam mit einem klugen und kompetenten Produzenten würden sie die musikalischen Traditionen ihrer Heimat wiederbeleben und, in einem faszinierenden kreativen Prozeß, ein Album einspielen, das es in sich hätte und auf der ganzen Welt für Furore sorgen würde.
Ein anderer, ebenso imaginärer Film namens »Buena Vista Social Club« könnte von ebenjenem Produzenten handeln. Der hieße Ry Cooder, wäre seit über 30 Jahren der ungekrönte König aller Gitarristen und hätte viel zu erzählen über seine Platten und Filme, über zahllose Studioengagements und Ausflüge ins Reich der Weltmusik. Man würde ihn beobachten, wie er ein Teil der kubanischen Klänge würde und diese ein Teil von ihm, und man hätte die Möglichkeit zu studieren, wie diese Synthese vor Ort abliefe, wie diese Synergien freigesetzt würden.
Ein dritter imaginärer Film mit besagtem Titel schließlich könnte das illustrierte Tagebuch des Regisseurs sein. Darin ginge es um die innige Beziehung zwischen dem Filmemacher Wim Wenders und dem Musiker Ry Cooder, die auf eine Zusammenarbeit bei den Spielfilmen »Paris, Texas« und »The End of Violence« zurückblicken können. Und auf sensible Weise würde beschrieben, welche Gefühle, welche eindringlichen Empfindungen Wenders angesichts eines Blicks auf das heutige Havanna und unter dem Einfluß der Big-Band-Folklore überkämen.
Der Film »Buena Vista Social Club«, den es nun tatsächlich gibt, kann oder will nichts von alledem sein - was, je nach Standpunkt, Anlaß zur Enttäuschung oder zur Freude sein mag, in jedem Fall aber ein wenig überrascht. Für eine dokumentarische Beschreibung des Projekts BVSC kam Wenders schlichtweg zu spät: Die Gründung der Gruppe, die Aufnahme der CD, der sensationelle Erfolg der Scheibe inklusive eines Grammy für Cooder waren bereits Vergangenheit, als Wenders nach Kuba fuhr, um einen Film über etwas zu drehen, das längst zum Phänomen geworden war. Ein Porträt Ry Cooders hätte dabei nie und nimmer entstehen können: Der immer noch relativ unbekannte Meister der Slide-Gitarre ist viel zu bescheiden und kamerascheu, um sich in den Vordergrund zu drängen; allenfalls erlaubt er der Kamera, ihm ein wenig bei der Arbeit zuzuschauen, und überläßt ansonsten den Kubanern das Rampenlicht. Warum Wenders selbst komplett unsichtbar bleibt, ist nicht so einfach zu erklären. Vielleicht waren ihm diese Welt und diese Musik zu neu und zu fremd, als daß er sich ihnen auf ähnlich reflexive Weise hätte nähern können wie seinerzeit Nicholas Ray, Yasujiro Ozu oder Yohji Yamamoto. Vielleicht entschied er sich aber auch ganz bewußt für einen radikalen Stilwechsel, für eine Abkehr vom sehr subjektiven Zugriff seiner früheren Dokumentationen (die eher essayistische Annäherungen waren) mit ihrem gelegentlichen Abgleiten in Betroffenheitstümelei.
Also: kein Wenders in diesem Film, weder im Bild noch im Off; wüßte man nicht, wer für die Regie verantwortlich zeichnet, man könnte es nicht erkennen. Stattdessen entstand ein kleiner, ziemlich konventioneller Dokumentarfilm, der nie mehr will, als Einblicke zu gewähren in das Leben seiner Protagonisten und Eindrücke zu verschaffen vom Zauber ihrer Musik.
Mit einem winzigen Team und drei handlichen Kameras begleitet Wenders Cooder bei seiner Rückkehr nach Havanna, wo ein Nachfolgealbum des BVSC eingespielt wird. Im Kino wirken die aufgeblasenen Videobilder rauh und grobkörnig, was dem Film einen spontanen, ungeschönten Low-Budget-Look verleiht (diese Technik hat natürlich den Vorteil, daß Wenders zugleich flexibel und unauffällig drehen konnte). Abwechselnd sehen wir Fahrten durch die Straßen der Stadt, Interviews mit den Musikern und Aufnahmen von ihren Konzerten in Amsterdam (im Frühling 1998), wir hören, wie der Sänger Ibrahim Ferrer damals buchstäblich von seiner Arbeit als Schuhputzer ins Aufnahmestudio geholt wurde, wir schmunzeln über den 92jährigen Compay Segundo, der weiteren Nachwuchs zu zeugen gedenkt, wir staunen über die Intensität der Blicke, die Ry Cooder und sein Sohn Joachim beim Zusammenspiel im Aufnahmestudio tauschen.
Wim Wenders montiert die Schicksale, die Geschichten, die Lieder zu einem ruhigen, beiläufigen, fast ziellosen Fluß, und er riskiert dabei, daß der wissenshungrige Zuschauer unruhig wird, weil die Entstehungsgeschichte des BVSC und die Hintergründe des Projekts mehr als eine Stunde lang ausgeblendet und dann nur unangemessen kurz umrissen werden. Langsam wirkt der Film dennoch nicht, denn Wenders hat es oft eilig, die Schauplätze zu wechseln. Mitten im Song schneidet er von einer im stillen Kämmerlein gespielten Gitarre auf die Konzertbühne, wo dasselbe Stück vom kompletten Orchester intoniert wird. Oder er blendet Lieder aus, um sich anderen Themen und Tönen zuzuwenden. Und davon gibt es mehr als genug: Seine Lebendigkeit und Emotionalität schuldet »Buena Vista Social Club« vor allem der Vitalität und Energie von Musikern, für die ein Märchen wahr geworden ist und die immer noch agieren, als könnten sie ihr Glück gar nicht fassen.
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