Kritik zu Bezaubernde Lügen
Der Hausmeister, die Friseuse und ihre depressive, liebeshungrige Mutter: Audrey Tautou spielt in der neuen Komödie von Pierre Salvadori (Die Anfänger) abermals eine etwas dubiose Fee
Am Anfang dieser Verwechslungskomödie steht ein mit poetischer Finesse geschriebener anonymer Liebesbrief. Die Adressatin jedoch wirft das Schreiben in den Papierkorb – unter den Augen des am Boden zerstörten Verfassers. Doch es kommt noch schlimmer für Jean (Sami Bouajila), der als Hausmeister im Schönheitssalon von Émilie (Audrey Tautou) arbeitet und seiner heimlich angebeteten Chefin den Brief geschickt hat. Als herauskommt, dass er mal Übersetzer war und etliche exotische Sprachen beherrscht, kommt bei Émilie ein Minderwertigkeitskomplex durch. Die Friseuse traut sich nicht mehr, Jean Anweisungen zu geben und will ihn kurzerhand kündigen. Und sie hat noch eine tolle Idee: Um ihre depressive Mutter Maddy (Nathalie Baye) aufzumuntern, die von ihrem Künstlergatten wegen einer jüngeren Frau verlassen wurde, kopiert sie die weggeworfene Epistel und adressiert sie anonym an Maddy. Mama blüht auf und erwartet gespannt weiteres briefliches Doping, in dessen Verlauf sie Jean als ihren Verehrer zu erkennen glaubt. Im Nu treten die quecksilbrige Émilie, der stille Jean und die liebestolle Maddy eine Lawine von Missverständnissen los, die den Betriebsfrieden stören und das Trio an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringen.
Diese boulevardesken Tändeleien, seit den Zeiten des Komödiendichters Marivaux etwas abfällig »Marivaudage« genannt, haben mit ihren echten falschen Briefen, ihrem Doppelsinn und ihren hinter Vorhängen erlauschten Geständnissen tatsächlich ein hübsch altbackenes Flair. Das Geschehen konzentriert sich ohne Seitenblicke auf jene Gefühlsspirale, die sich in tragische Höhen schrauben kann: auf den Widerspruch aus Liebe, Selbsttäuschung und einem als Schüchternheit auftretenden Narzissmus, bei dem aus Angst vor Gesichtsverlust unter größten Qualen immer weiter geflunkert wird – selbst wenn das Objekt der Begierde darüber verloren geht. Regisseur Pierre Salvadori (Die Anfänger) beruft sich neben Marivaux auch auf Ernst Lubitsch und setzt eine Lustspielmechanik in Gang, die vor allem durch ihr handwerkliches »Gewusst wie«, ihr knackiges Screwballtiming und ihre zugespitzten Dialoge für sich einnimmt.
Von Amélie zu Émilie wandelt Audrey Tautou erneut auf den Spuren der fabelhaften, Briefe fälschenden Pariser Fee und schwindelt sich mit kulleräugigem Liebreiz in die Bredouille. Sami Bouajila als Jean, Auslöser und Opfer der Liebeswirren lässt eine herrliche Genervtheit aufblitzen, Altstar Nathalie Baye gibt als Maddy mit reifer Erotik dem Affen Zucker. Die Ménage-à-trois, begleitet von leicht burlesken Nebenfiguren, funktioniert wie ein Uhrwerk. Die Charaktere bleiben amüsante Marionetten, und am Ende läuft sich der Spaß leer.
Etwas aufdringlich werden dazu die pittoresken Ecken der südfranzösischen Hafenstadt Sète ins Bild gesetzt. Auch diese Komödie gehört zu jenen gutgemachten kleinen Provinzfilmen, in denen, wie zum Beispiel in Chanson d’amour Clermont-Ferrand, bisher filmisch vernachlässigte Gegenden mit Hilfe regionaler Filmförderungen – und warum auch nicht? – ins schönste touristische Licht gesetzt werden.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns