Kritik zu Al doilea joc – The Second Game

Filmclip OmeU © Arsenal Filmdistribution

2014
Original-Titel: 
Al doilea joc – The Second Game
Filmstart in Deutschland: 
04.12.2014
L: 
97 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Corneliu Porumboiu, der 2006 in seinem Film 12:08 – Jenseits von Bukarest schon einmal auf sehr minimalistische Weise rumänische Vergangenheitsbewältigung betrieb, reduziert die Form in seinem neuen Werk kunstvoll weiter

Bewertung: 4
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Zwischen den Zeilen zu lesen, das gehörte in der Zeit vor dem Mauerfall zu den Kulturtechniken, die man beherrschen musste, wollte man sich mit der Literatur, den Filmen oder der Kunst aus Osteuropa auseinandersetzen. So lang ist das her, dass man fast daran erinnern muss, dass diese Form der indirekten, ironischen Kommunikation mit Auslassungen und kryptischen Referenzen aus einem Zwang hervorgegangen war: In den Ländern des sogenannten real existierenden Sozialismus bestimmte die Zensur, worüber geredet werden durfte. Und es war eben nicht nur Systemkritik tabu, sondern im Grunde fast alles, was zu ambivalent war, um in einen sozialistischen Kanon zu passen.

Tabu war zum Beispiel auch das unsportliche Verhalten von Fußballspielern. Sobald es auf dem Platz zu Rangeleien kam, etwa nach einer Gelben Karte, schwenkte die Kamera zum – natürlich friedlichen – Publikum. Das ist eines der Dinge, die man in Corneliu Porumboius Al doilea joc – The Second Game tatsächlich erklärt bekommt. Alles andere erfordert ein Zwischen-den-Zeilen-Lesen.

Der Film besteht aus nichts anderem als der 90-minütigen Aufzeichnung eines rumänischen Ligaspiels aus dem Jahr 1988. Es treten die beiden Bukarester Mannschaften Steaua und Dinamo gegeneinander an, als Schiedsrichter läuft Adrian Porumboiu aufs Feld, der damals 38-jährige Vater des Regisseurs. Im Off sitzen Vater und Sohn heute und kommentieren.

Was als Erstes ins Auge fällt, ist das Wetter. Es schneit während des Spiels ununterbrochen. Ob er es nicht hätte absagen können, fragt der Sohn den Vater. Der beschreibt die Kriterien: Solange der Ball noch nicht im Schnee stecken blieb, sondern vom Boden abprallte und außerdem die Tore vom Mittelstreifen aus noch erkennbar waren, konnte angepfiffen werden. Das Publikum scheint am Wetter nichts zu finden, die Ränge sind gepackt voll.

Einen ähnlichen Stoizismus muss auch der Zuschauer im Kino an den Tag legen. Denn weder auf dem verschneiten Fußballfeld noch im Off der Kommentatoren passiert viel. Sicher, Sohn Corneliu lässt sich von Vater Adrian ein bisschen was über die Konkurrenz von Steaua, der Mannschaft der Armee, und Dinamo, der Mannschaft der Securitate, erklären. Adrian erläutert ein paar seiner Schiedsrichterentscheidungen, die heute »falsch« erscheinen und kommentiert mit »Das gäbe es heute nicht mehr« einige Kuriositäten auf dem Platz. So etwa, dass die Dinamo-Spieler nach der Pause statt Weiß auf einmal Blau tragen oder einer der Spieler mit blutendem Verband spielt. Den ganzen, reichen Rest muss sich der Kinozuschauer selbst denken und selbst erschließen. Warum dieses Spiel? Was wird alles nicht gesagt? Was sind die Regeln der Aufzeichnung? Was tut sich da zwischen den Spielern? Und auf einmal hat Porumboiu einen effektvoller als jedes Biopic in genau die Epoche versetzt, die dieses total verschneite Spiel in widrigen Bedingungen auf abgründige Weise abbildet.

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