Kritik zu Tom und Hacke

© Zorro

Aus dem Mississippi wird ein niederbayrischer Fluss: Norbert Lechner hat die Abenteuer von Tom Sawyer und Huck Finn in das Deutschland der Nachkriegsjahre verlegt

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Mark Twains »Die Abenteuer von Tom Sawyer« erschien vor bald 150 Jahren, und es ist erstaunlich, welche Attraktion dieser Jugendbuchklassiker immer noch hat. Die meisten Verfilmungen stammen übrigens aus Deutschland, und es ist ja gerade mal ein Jahr her, dass Hermine Huntgeburths in den USA spielende Version in die Kinos kam.

Der Regisseur Norbert Lechner hat seine Adaption in eine niederbayrische Kleinstadt der Nachkriegszeit verlegt. Die Not und die Verluste dieser Zeit sind zu spüren, Tom Sojer hat seine Eltern während des Krieges verloren und lebt nun bei seiner Tante Polli und deren Sohn. Diese Schauplatzveränderung passt ungemein, man merkt, wie die hektische Betriebsamkeit der Erwachsenen und die unübersichtlichen Zustände damals Freiräume für die Kinder schaffen, die nach der Schule mehr oder weniger auf sich selbst gestellt sind. In unserem durchorganisierten Erziehungsalltag heute von Krippe über Kita bis hin zur Ganztagsschule sind Lausbubengeschichten ja gar nicht mehr möglich.

Und Lechner und sein Drehbuchautor haben sich Mühe gegeben, die aus dem Buch bekannten Abenteuer der Zeit und der Gegend anzupassen. Hacke lebt nicht in einem Fass, sondern i einem Eisenbahnwaggon, der Richter und seine Familie sind aus der Emigration in der Schweiz heimgekehrt, aus dem Zäunestreichen des Buchs wird ein Trümmersteineklopfen und aus Indianer-Joe der Schmuggler Ami Joe, beeindruckend chargenhaft gespielt von Fritz Karl. Und den beobachten Tom und Hacke auf dem Friedhof, wo sie gerade ein Ritual praktizieren, um Warzen zu eliminieren, und müssen miterleben, wie Ami Joe beim Schwarzhandel um Zigaretten einen Mann ersticht. Sie schwören, dass sie schweigen werden, doch Tom plagt bald das schlechte Gewissen. Hinzu kommt, dass Tom gerne an die Schmuggelware herankommen will: Er hat die Nähmaschine seiner Tante, mit der Polli ihre Rumpffamilie durchbringt, beim Bau einer Steinschleuder kaputt gemacht.

Der Film ist immer auf der Seite der beiden Jungs, doch man merkt auch, wie sie mit ihrem Übermut und Eifer, mit Schwindeleien und Diebstählen durchaus Schwierigkeiten bereiten, vor allem der alleinerziehenden Tante. Leider bleibt Hacke etwas blass – obwohl er doch die interessantere Figur ist, ein Junge, der sich ganz der Erwachsenenwelt entzogen hat –, und die verhaltene Liebesgeschichte zwischen Tom und der Richtertochter Biggi ist ein verzichtbarer Drehbuchkniff. Und beim Dorfschullehrer fühlt man sich ein bisschen an den gemütlichen Amtsrichter aus der legendären ZDF-Serie »Königlich Bayerisches Amtsgericht« erinnert. Doch man verzeiht diese Ungelenkheiten dem Film gerne, der ansonsten ohne allzu grobe Stereotypen auskommt und seine Lausbubengescichten mit einer angenehmen, fast bescheidenen Zurückhaltung erzählt. Das Aufgemotzte der Wilde Kerle-Filme jedenfalls ist Tom und Hacke ziemlich fremd.

 

Meinung zum Thema

Kommentare

Mich hat der Film sehr berührt. Als Kind dieser Zeit ist die Handlung lebensecht, wenn auch Tom ein echter Schluri ist. Die Lausbubenstreiche wären heute nicht mehr möglich. Die Kinder konnten sich noch aneinander messen, wachsen und entwickeln. Die haben die Welt durch direktes Erleben erfahren. Es war wunderbar und an Erfahrung reiche Kindheit.

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