Nachruf: Peter Lilienthal

Leise Visionen
Peter Lilienthal

Peter Lilienthal

27. 11. 1927 – 28. 4. 2023

Seine visuelle Konzeption war in den 1960er Jahren singulär hierzulande. Sie betonte, oft surrealistisch pointiert, das Düstere, Makabre, albtraumhafte der Conditio humana. Mit kleinen Filmen fürs Fernsehen fing er an, mit »Picknick im Felde« (1962) oder »Striptease« (1963), »leise Geschichten« um »kleine, stumme Menschen«, nach Fernando Arrabal oder Sławomir Mrożek. Sie nutzten  kontrapunktische Stilmittel, um den Augenblick radikaler Grenzerfahrungen zu evozieren. In »Seraphine – oder die wundersame Geschichte der Tante Flora« (1964) und Tramp – oder der einzige und unvergleichliche »Lenny Jacobsen« (1968) ist seine Vorliebe für kauzig-wunderliche Geschichten, seine melancholische »Faszination des Abgelebten« dann auf die Spitze getrieben. Wobei er in der Montage zusammenzwang, was sonst nie zusammenkäme: Dokumentarisches aus älteren Filmen, Berichtetes aus Wochenschauen, Zitiertes, Assoziiertes, Geträumtes. Damit untergrub er die Dominanz des Faktischen, die bloß verdoppelt, was ohnehin existiert.

Geboren wurde Peter Lilienthal 1927 in Berlin. 1939 emigrierte er mit seinen Eltern nach Uruguay. 1956 nahm er ein Stipendium an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin an. 1959 ging er zum SWF nach Baden-Baden. 1960 debütierte er mit »Die Nachbarskinder« als Regisseur.

Seitdem Lilienthal fürs Kino arbeitete, seit 1969, drehte er politisch direktere Filme. Ihn faszinierte dabei das Alltägliche, wo es sich als Indikator gesellschaftlicher Verhältnisse zeigt. Schon in »Malatesta« (1969), diesem sperrigen, assoziativen Porträt des italienischen Anarchisten Errico Malatesta, der Anfang des Jahrhunderts in London im Exil lebte, nutzte Lilienthal Unterschiedliches für irritierende Effekte: asynchrone Szenen. Grobkörnige, monochrome Bilder. Altes Foto- und Filmmaterial von Elendsquartieren lettischer Emigranten. Wie ein verblichenes Dokument ist der Film angelegt, ein Dokument, das seinen Sinn nicht von selbst preisgibt, sondern immer aufs Neue der Enträtselung bedarf.

Menschen, die trotz aller Gefahr Charakter zeigen – das ist das Lilienthal-Thema par excellence. Mal fühlen sie sich fremdbestimmt durch normative Konventionen (wie 1974 in Hauptlehrer Hofer). Mal sind sie durch militärischen Terror in Südamerika (wie 1973 in La victoria oder 1975 in Es herrscht Ruhe im Land) oder durch ökonomische Zwänge (wie 1982 in Dear Mr. Wonderful) in die Enge getrieben. Mal drohen sie als Opfer des NS-Regimes zu enden (wie 1979 in David). Aber dann gibt es den Punkt, wo sie Widerstand leisten. »Die Sonne angreifen.« Oder dem Schrecken um sich herum mit List und Würde begegnen. Dabei ging es ihm allerdings nie darum, Themen, Meinungen, Überzeugungen filmisch zu propagieren. Wichtiger ist, was in den Bildern sichtbar wird. Noch wichtiger, was durch Bilder zu spüren und fühlen ist. Wie kein anderer Filmemacher des Neuen Deutschen Films erkundete Lilienthal, wie das Politische in die Bilder kommt, ohne dass es zum bloßen Anliegen verkümmert. Die stilistischen Charakteristika dabei: ein präziser Blick auf die Geschehnisse und den Raum um sie herum. Ein brüchiger, nervöser Rhythmus. Und ein Gespür für stimmige Atmosphäre, die durch die Ereignisse sich entwickelt. 

In »Das Autogramm« (1984), seinem späten Meisterwerk, erzählt er von zwei Männern, die in einer südamerikanischen Militärdiktatur zu einem Fest geladen sind. So fremd sie sich fühlen, so schnell kommen sie sich näher, als die Schikanen der Militärs sich häufen. Die terroristische Strategie der kleinen Verletzung, so Lilienthal, gebiert Wut. Und Härte. Und die Bereitschaft zur Auflehnung. Das Faszinierende des Films kommt vor allem daher, dass die Stimmung zwischen den Bildern dominiert. Worüber ein atmosphärisches Mosaik entsteht, das Emotionen provoziert, die Einsichten ermöglichen. Letztlich geht es, wie wieder und wieder bei Lilienthal, um die leise Vision von den kleinen Siegen beim Versuch zu überleben. 

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Toller Artikel, dankeschön.

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