Mediathek: »Sacha«
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Man könnte kurzerhand »Swiss Noir« als das neue große Ding ausrufen. Aber die Dinge sind nur selten neu, auch nicht in jedem Falle groß. Die Krimiserie »Wilder« (3sat-Mediathek) war kein Kind von Fröhlichkeit; auch nicht »Helvetica« (Amazon); und noch weniger jetzt »Sacha«, eine Koproduktion der Schweizer SRG mit Arte.
Das Autorenteam Nicole Castioni, Flavien Rochette, Mathilde Henzelin, Léa Fazer bedient sich der Mittel des Krimis, mit den ersten Bildern geht es direkt an den Tatort. Eine Staatsanwältin ist zugegen, jedoch nicht als Leiterin des Verfahrens. Anne Dupraz (Sophie Broustal) hat auf einen Mann geschossen. Sie leugnet nicht, lässt sich willig festnehmen. Sie selbst hatte die Polizei gerufen.
Ihre erschütterte Umgebung rätselt, was die angesehene Juristin zu dieser Tat getrieben hat. Nur ihr Ex-Mann und dessen Frau, eine TV-Journalistin, kennen das Motiv und drängen sie, auszusagen. Dupraz aber schweigt. Aus Rücksicht auf ihre Tochter.
Zug um Zug treten die Hintergründe zutage. Dupraz war dem späteren Opfer Philippe Teissier (Michel Voïta) zufällig im Zuge einer Ermittlung begegnet. Sie kannte den Mann aus ihrer Jugend. Damals war sie dem charmanten Burschen verfallen. Er hatte mit seinen Kontakten zur Filmszene geprahlt, sogar ein fertiges Drehbuch vorgewiesen, Anne aus Genf nach Paris gelockt und dort mählich in die Prostitution getrieben.
»Sacha« ist dramaturgisch höchst intelligent angelegt. In mehreren parallel verlaufenden retrospektiven Strängen bewegt sich das Geschehen auf das anfängliche Verbrechen zu. Nicht nur Dupraz' Vorgeschichte, auch der die Tat auslösende Kriminalfall wird verfolgt. Eine kluge Handlungsführung, denn so gerät die Erzählung nicht zur Passionsgeschichte, sondern wird um einige sehr starke Frauenfiguren bereichert, darunter die taffe Kriminalpolizistin Jasna Shaqiri, gespielt von der als Rapperin La Gale bekannten Karine Guignard. Eine zarte Liebesgeschichte wird eingeflochten und wirkt nie gekünstelt.
Für Dupraz' Konfrontation mit der Vergangenheit erlauben sich die Autoren eine Anleihe beim magischen Realismus: Anne imaginiert Begegnungen mit ihren jüngeren Alter Egos, der jungen Prostituierten mit dem Künstlernamen Sacha, auch dem kleinen Mädchen, das von den Eltern vernachlässigt wurde und ein eigenes Geheimnis birgt.
Die Co-Autorin Nicole Castioni ist im Hauptberuf Richterin. Als Jugendliche war sie drogenabhängig, in Paris ging sie auf den Strich. Sie verarbeitete ihre Erfahrungen in dem Buch »Le soleil au bout de la nuit«, das der Serie als Vorlage diente. Wie Anne Dupraz hatte Castioni als junge Frau schauspielerische Ambitionen. Dupraz erwähnt einmal, sie habe in Godards »Nouvelle Vague« mitgewirkt. Fast ein biografisches Detail: Laut einer französischen Quelle hatte Castioni eine kleine Rolle in Godards »Rette sich, wer kann (das Leben)«. In späteren Jahren nahm sie die Schauspielerei wieder auf. In »Sacha« spielt sie Annes Mutter.
Kommentare
Lob
Der Film behandelt ja auch allgemein das Thema von Prostitution und Menschenhandel auf eine sehr zutreffende Art, ist also nicht nur Krimi sondern auch Aufklärung und emanzipatorisches empowerment für Frauen. Insbesondere der Schluss, wo die Tochter dem sexisischen Sport den Rücken kehrt und Anne im TV Interview Klartext spricht. War sehr spannend, danke herzlich
Judit
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