Kritik zu Virgin Tales
Der Stolz der anderen: Die Schweizer Dokumentaristin Mirjam von Arx vermittelt Einblicke in evangelikales Familienleben
Virgin Tales führt ins Herz des amerikanischen Hinterlands, in den »Bible Belt«, wo der christliche Fundamentalismus seine buntesten Blüten treibt. Zwei Jahre begleiteten die Schweizer Dokumentaristin Mirjam von Arx und ihr kleines Frauenteam die Wilsons, eine vielköpfige und verblüffend von sich selbst begeisterte Vorzeigefamilie der Evangelikalenbewegung.
Sachlich nähert sich der Film einer hermetischenWelt. Im Mittelpunkt das zufriedene, mit Dauerlächeln zelebrierte Familienleben von Randy und Lisa Wilson, ihren sieben Kindern und den Ehepartnern der drei ältesten, die bereits verheiratet sind. Alle Kinder wurden durch Mutters religiös fundiertes Homeschooling alphabetisiert. Nur Gott kennt die Algebra, lautet eine der Pointen ihres unerschütterlichen Selbstbewusstseins.
Randy Wilson, ein smarter Mann in den Fünfzigern, arbeitet als Lobbyist im Dienst einer Organisation, die sich Beratung, Beistand, Forschung und Bildung auf die Fahnen geschrieben hat, indes nichts weniger versucht, als die erzkonservative Tea Party der Republikaner zur stärksten Kraft in Washington aufzubauen. Eloquent und charismatisch macht er Propaganda für die Idee, die USA zu ihren Fundamenten als christliche Nation zurückzuführen.
Solche Selbstermächtigung zur gesellschaftlichen Elite führt über die Körper der Kinder. Radikaler Ausdruck des familiären Weltbildes ist die Überzeugung, dass sexuelle Enthaltsamkeit bis zur Ehe ein gottgefälliges Rezept für die Erfolgsgeschichte einer Ehe sei. Virgin Tales schildert eine ambivalente Außenansicht, in der eine komplette Großfamilie diese Idee wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung präsentiert. Stolz erklären die Mädchen, sogar mit dem ersten Kuss bis zum Traualtar warten zu wollen, feiern ihr Gelübde vor der Kamera zugleich jedoch mit einer permanenten Glamourattitüde. Schönheit, Grazie, Hausfrauenkunst, beeilt sich die Mutter zu erklären, seien die beste Vorbereitung auf den Spaß, den die Ehe bieten wird.
Keine ihrer Töchter studiert angesichts der besseren Option, zu Hause auf den Antrag eines gottgesandten idealen Gatten zu warten. Die verheirateten Schwestern verkünden ihr Eheglück wie missionarische Durchhalteparolen, lassen jedoch durchblicken, dass am Ende auch die Ehe sie zum Warten zwingt, wenn der Gatte zur Front in Afghanistan abkommandiert wird. Die Wilsons verkörpern Militanz, denn alle Söhne und Schwiegersöhne zieht es zur Armee.
Zweifel am ideologischen Konstrukt lächelt die Familie beiseite. Sie organisiert Bälle, bei denen ein Mädchenreigen ein Holzkreuz mit weißen Schleiern schmückt und die versammelten Väter öffentlich den Schwur ablegen, ihre Töchter und deren Keuschheit zu beschützen. Gebete, Gelübde, Segnungen und Glücksbekenntnisse – die fundamentalistische Bewegung der Evangelikalen sammelt ihre Truppen von Kindesbeinen an, indem sie Lob und Liebe, Sentimentalität und Kitsch, Ritterideale und hyperweiblichen Lady-Glamour einsetzt, um Verzicht und Tugendkontrolle attraktiv zu machen. Virgin Tales schildert die Selbstaufwertung, die durch die Unterwerfung unter solche Gesetze möglich wird.
Kommentare
Langzeitfolgen der Arbeit von Randy Wilson
Über die Suche nach Informationen über Frau von Arx bin ich hier gelandet und erinnere mich, den Film über dieses fast schon inzestuöse Verhalten gesehen zu haben. Besonders interessant in der epd Kritik finde ich diese Aussage. Zitat: "Randy Wilson, ein smarter Mann in den Fünfzigern, arbeitet als Lobbyist im Dienst einer Organisation, die sich Beratung, Beistand, Forschung und Bildung auf die Fahnen geschrieben hat, indes nichts weniger versucht, als die erzkonservative Tea Party der Republikaner zur stärksten Kraft in Washington aufzubauen."/Zitat
Das Ergebnis der Bemühungen der Republikanischen Partei der USA und ihres harten Kerns der "Tea Party" konnten wir vor wenigen Tagen beim Sturm des reaktionären Mobs ins Herz von Amerikas Demokratie, aufgepeitscht durch einen Präsidenten, der zu dieser Bewegung passt wie die Faust aufs Auge, in aller fernsehmässig dokumentierten und atemberaubenden Präzision bewundern.
Ein Journalist in einem grossen deutschen Nachrichtenmagazins hat die Situation der "Grand Old Party" der USA in einer Überschrift zu seiner Kolumne zusammengefasst: "Eingemauert in einer Festung des Selbstbetruges." Eine bessere Standort- und Situstuionsbeschreibung der tief religiösen Rechten und ihrer Auswüchse gibt es nicht. Gnade und Gott, wenn das die Bürgerinnen der USA nicht beenden können!
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