Glanz und Elend

 »Alles Geld der Welt« (2017)

Die Jahreszeit der Preisverleihungen wirft ihre Schatten voraus. Schon in Venedig und Toronto hielt die Fachpresse ungeduldig Ausschau nach möglichen, lieber noch sicheren Oscar-Kandidaten. Das gerät rasch zum dominierenden Kriterium bei der Bewertung künstlerischer Leistungen, zu einer geistlosen Chiffre. Glücklicherweise irrt man sich dabei oft genug. Oder wollen Sie heute schon wissen, wer im Februar die Trophäen gewinnt?

Gleichviel, die Kampagnen beginnen. Die Weinstein Company wird in diesem Jahr darauf wohl weniger Geld und Elan als früher verwenden, aber viele der üblichen Verdächtigen dürfen sich Chancen ausrechnen. Vielleicht gelingt es Ridley Scott ja tatsächlich, den Nachdreh mit Christopher Plummer rechtzeitig zum Oscar-trächtigen Starttermin von »All the Money in the World« unter Dach und Fach zu bringen und sich so von der Verbindung zu Kevin Spacey reinzuwaschen. Ohnehin wird auch diesmal wieder reichlich Heuchelei im Spiel sein.

Ein vorauseilender Schatten der Scheinheiligkeit ist die ausgelagerte Verleihung der Ehrenoscars. Mit dieser Maßnahme demontiert die Academy den eigenen Anspruch schon seit einigen Jahren. Sie liegt zweifellos in der Sorge um die Einschaltquote bei der Hauptveranstaltung begründet. Aber haben wirklich so viele Fernsehzuschauer den Sender gewechselt, wenn in der aufgeblähten Zeremonie mal ein Lebenswerk gewürdigt wurde? Ist die Tyrannei des Jetzt wirklich so mächtig in dieser eminent konservativen Institution? Gewiss, diese Preise waren meist ein Alibi, die Wiedergutmachung Jahrzehnte langer Versäumnisse. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es außer mir nicht genug weitere Filmliebhaber gab, die solche Auftritte, etwa von Sidney Lumet, als emotionale Höhepunkte empfunden haben.

Damit sich die Sondervergabe auch lohnt, werden gleich mehrere Ehrenpreise vergeben. Agnès Varda ist in diesem Jahr darunter – übrigens ist sie die erste Regisseurin überhaupt, die so gefeiert wird. Das spricht nicht für die Academy, freut einen aber für die wunderbare Madame Agnès, die sich mit gebotener Skepsis bei dem sogenannten »Governor's Ball« auszeichnen ließ. Ich glaube, auch Donald Sutherland gehört heuer zu den Preisträgern, aber man bekommt das ja kaum mehr mit, so fahl ist der Glanz dieser Ehrung, von der man in diesem Jahr vor allem Notiz nahm, weil Dustin Hoffman als Präsentator auftrat.

Die Grundidee der Akademie war in der Antike die einer gelehrten Gesellschaft, die der Forschung und Förderung dient. Da greifen Historie, Gegenwart und Zukunft ineinander. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences akzentuiert schon in ihrem Namen die Vielgestaltigkeit des Mediums, um dessen Wertschätzung sie sich bemüht. Die Europäische Filmakademie betont dies nicht explizit bei ihrer Namensgebung, zu ihrem Selbstverständnis gehört aber ebenfalls die Erkenntnis, dass das Filmemachen ein kollektiver Schaffensprozess ist. Dementsprechend vergibt sie auch Preise in »technischen« Sparten. Die mögen nicht so sexy sein wie die Kategorien, in denen Schauspieler, Regisseure oder Produzenten ausgezeichnet werden.

Die heftig um ihre Identität und öffentliche Ausstrahlung ringende Filmakademie hat sich vor einigen Jahren ebenfalls entschieden, die Verleihungszeremonie zu entschlacken (was ein bisschen egal ist, weil im Fernsehen ohnehin nur Zusammenfassungen zu nachtschlafener Zeit laufen) und gibt die Preisträger in den Sparten, denen man kein Spannungspotenzial zutraut, nun schon im Vorfeld bekannt. Gestern kam die Liste der Sieger in den Kategorien Kamera, Szenen- und Maskenbild, Schnitt, Filmmusik sowie Sounddesign. Die Mail endete mit dem Satz, die Preisträger würden bei der Verleihung zu Gast sein. Ich hoffe doch stark, dass man sie auch auf die Bühne bittet. Bei der César-Verleihung in Frankreich vollzieht sich dergleichen mit größerer Souveränität. Da darf das Publikum selbstverständlich mitfiebern, wer in diesen wichtigen Sparten gewinnt. Und die Verleihung des Ehren-César geht nie ohne stehende Ovationen vonstatten.

Vor vielen Jahren, als die »European Film Academy« noch in den Kinderschuhen steckte, hatte ich die Gelegenheit, einen hochkarätigen Ehrengast zu interviewen. Es war Samuel Goldwyn jr, der Sohn des legendären Hollywoodmogul, der sich selbst zu einem bedeutenden Produzenten mauserte. Er hatte auch einige Oscar-Verleihungen produziert und dafür einen Emmy erhalten. Man hatte ihn für eine Key-Note-Speech geladen, obwohl man das damals wahrscheinlich noch nicht so nannte. Die Zeremonie fand in einem Zelt am Ufer der Spree und unweit der Baustelle der heutigen CDU-Parteizentrale statt (Sie merken schon, wie lange das her ist). Ein Stargast war angekündigt, der sich als Johnny Depp entpuppte, dann aber nur kurz und achtlos durch den Saal geführt wurde. Auf die berechtigte Frage, was er an der Preisverleihung ändern würde, erwiderte Goldwyn knapp und bestimmt: »I would put more glamour into it.« Das hat sich die Europäische Filmakademie seither zu Herzen genommen, obwohl ich glaube, dass sie ihn auch gründlich missverstand. Goldwyn wusste, wie wichtig der Beitrag von Kameraleuten, Szenenbildnern, Komponisten und Tondesignern für seine Produktionen war. Er meinte hingegen nicht, dass Filmpreise so töricht an der eigenen Boulevardisierung mitwirken sollen.

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Die nächste Oscarverleihung findet nicht im Februar, sondern am 4. März 2018 statt.

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