Alter vor Schönheit
Alle wollen es werden, niemand will es sein: so lautet das Paradox des Alters. In verstärktem Maß gilt das für Schauspieler, zumal für die berühmten, weshalb die meisten wohl lieber mit Hilfe von Maske und Make-up alt spielen, als ihre echten, eigenen Falten oder grauen Haare zu zeigen. In Pedro Almodóvars neuem Film »Leid und Herrlichkeit« (»Pain & Glory«) aber spielt Antonio Banderas, 58, einen in die Jahre gekommenen Regisseur mit einer Unverstelltheit, die die Augen öffnet.
Da sind nicht nur graue Bartstoppeln und Tränensäcke, nein, da ist auch das Kissen, das er zum Schutz der eigenen Knie auf den Boden legt, oder die Langsamkeit, mit der er den eigenen Körper zusammenfaltet, um in ein Taxi zu steigen. »Leid und Herrlichkeit« handelt auf eine ehrliche Weise vom Alter, wie man sie im Kino selten sieht. Was einer der Gründe dafür sein mag, dass sowohl Banderas als Schauspieler als auch Almodóvar als Regisseur nach der Premiere des Films in Cannes zu hohen Favoriten bei der Palmenvergabe aufstiegen.
»Leid und Herrlichkeit« ist der sechste Film, mit dem Almodóvar im Wettbewerb von Cannes antritt. Die Preisbilanz dafür ist eher mager, weshalb einiges dafür spricht, dass der einstige Kult- und heutige Meisterregisseur nach dem Regiepreis 1999 (für »Alles über meine Mutter«) und dem Drehbuchpreis 2006 (für »Volver«) nun endlich reif für die Goldene Palme wäre.
Es würde umso besser passen, da »Leid und Herrlichkeit« auf sehr viel direktere Weise von ihm selbst, Almodóvar, handelt als seine früheren Werke. Wobei ein Moment der besonderen Rührung darin liegt, dass ausgerechnet Banderas, den Almodóvar in seinen wilden Jahren »groß« gemacht hat, hier in die Haut des Förderers und Freunds schlüpft.
Banderas spielt einen Regisseur namens Salvador, der nach den Höhen des beruflichen Erfolgs nun die Niederungen des körperlichen Verfalls erleidet. Geplagt von Rückenschmerzen, Migräneattacken und einer nicht bewältigten Trauer um den Tod der eigenen Mutter, zieht er sich arbeitsunfähig von der Welt zurück, während ihn Erinnerungen an die Kindheit heimsuchen.
Doch dann will die Madrider Kinemathek einen 30 Jahre alten Film von ihm wieder aufführen. Was Salvador dazu zwingt, Kontakt zu seinem damaligen Hauptdarsteller aufzunehmen, mit dem er sich entzweit hat. Und diese Begegnung führt zu einer weiteren mit einem wichtigen Mann in seinem Leben, die wiederum eine andere Erinnerung in ihm aufschließt – ein Verlauf, der es ihm schließlich möglich macht, einen neuen Umgang mit seinen Beschwerden zu finden.
Sowohl die leicht märchenhaften Kindheitsszenen, in denen Penelópe Cruz als Mutter eine geradezu leuchtende Ausstrahlung entfaltet, als auch die für den Helden so schwierige Gegenwart inszeniert Almodovar mit der ihm typischen Neigung zu klarem Licht und farbcodierter Kleidung. So sehr der Film die gebrechliche Physis seines Helden in den Vordergrund stellt, so fein und subtil reflektiert er darüber, was Altern jenseits von körperlichem Verfall bedeutet.
Wunderbar ausdrucksstark und zugleich zurückhaltend verleiht Banderas dieser Reflexion Gestalt – und bezaubert letztlich mit einem stillen, melancholischen Optimismus, der aufzeigt, das mit den Jahrzehnten sich nicht nur Türen verschließen, sondern auch neue Perspektiven auf alte Konflikte öffnen. Und eine geistig-seelische Beweglichkeit möglich wird, wo die des Körpers nachlässt.
Nach einem eher enttäuschenden Auftakt gewinnt der Wettbewerb in Cannes mit Almodóvar endlich an Fahrt. Denn so groß das Lob für die Newcomer Mati Diop (»Atlantiques«) und Ladj Ly (»Les misérables«) auch war, sind beides doch keine Hauptpreis-Kandidaten. Im Unterschied zur Österreicherin Jessica Hausner, die nach drei Filmen in der Nebensektion Certain Regard nun zum ersten Mal im Wettbewerb vertreten ist.
Ihr »Little Joe« handelt von einer Zuchtpflanze, die designt wurde, um Menschen glücklich zu machen. Wie man das Genre so kennt, fallen die wahren Resultate etwas anders aus. Zwar erntete die entschieden kalte Version eines Bio-Science-Fiction eher verhaltenes Lob, aber in ihrem ersten englischsprachigen Film navigiert Hausner so stilsicher zwischen Psychothriller und Horrordrama, dass man sich gut vorstellen kann, dass sie die in diesem Jahr vor allem aus Regiekollegen zusammengesetzte Jury überzeugt.
Ähnliches gilt für drei weitere Wettbewerbsbeiträge, in denen namhafte Autorenfilmer zur Sprache des Genrefilms greifen: Der Brasilianer Kleber Mendonça Filho erzählt in »Bacurau« in einer mutigen Mischung aus Western und Science-Fiction von den schweren sozialen Konflikten seines Heimatlands. Der Chinese Yi'nan Diao – der mit »Feuerwerk am helllichten Tage« 2014 den Goldenen Bären der Berlinale gewann – inszeniert mit »The Wild Goose Lake« bildmächtig die Jagd auf einen Verbrecher quer durch das neonbeleuchtete Scheinparadies eines provisorischen Vergnügungsviertels an einem Ferienort.
Und der Rumäne Corneliu Porumboiu variiert in »The Whistlers« den Neo-noir-Film, in dem er einen korrupten Polizisten und eine Femme fatale durch windige Intrigen und Doppelbetrug zu einem überraschenden Ende vor den Leuchtturmgärten Singapurs führt. Der Genre-Zugriff kann aus intellektuellen Entwürfen wahre »Crowd-Pleaser« entstehen lassen.
Alle drei Filme lassen ihr Publikum jedoch mit sehr unterschiedlichen Gefühlen zurück: Wo der Brasilianer mit seiner Western-Gewalt Wut kanalisiert, fasziniert der Chinese mit Kontrasten von aufblitzender Schönheit in einem Meer von Hässlichkeit, während der Rumäne mit trockenem Witz und flottem Musik-Einsatz von Iggy Pop bis zu Carl Orff mehr amüsiert als in die Tiefe geht.
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