Anfänge

Mädchenbanden und Party Girls: Die "Quinzaine des réalisateurs" und "Un Certain Regard" eröffnen mit Filmen über Mädchen bzw. Frauen

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, heißt es so schön, und vielleicht deshalb gibt es bei einem Festival wie Cannes derer mindestens vier: Nach  dem immer gern umstrittenen Eröffnungsfilm des Wettbewerbs – in diesem Jahr Grace of Monaco, über den vielleicht schon genug gesagt ist, schließlich läuft er bereits im Kino –, führt jede Sektion, "Un certain regard", die "Quinzaine des réalisateurs" und die "Semaine de la critique" ihren eigenen Eröffnungsfilm vor. Und unterdessen beginnt auch der eigentliche Wettbewerb. Donnerstag ist der Tag der Anfänge!

»Bande de Filles« (2014)
Die "Quinzaine" zeigt zur Eröffnung Bande de filles von Céline Sciamma. Die Französin machte 2011 mit ihrem Film Tomboy auf der Berlinale Furore. Dort gab sich eine junge Zehnjährige für einen Sommer als Junge aus. Und fast denkt man, dass Sciamma das Transgenderthema erneut aufnimmt, wenn man am Anfang von Bande de filles zu packender Musik Aufnahmen eines Footballspiels sieht. Die Footballer sind nämlich Mädchen, die meisten von ihnen schwarz. Später sieht man sie in der Gruppe nach Hause gehen, zuerst laut schwatzend und kichernd, dann kommen sie an einer Gruppe junger, herumlungernder Männer vorbei, und die Mädchen verstummen mit einem Mal. Sie laufen unbehelligt, aber ungleich weniger heiter weiter, eine nach der anderen verabschiedet sich, bis es nur noch zwei sind und schließlich eine übrig bleibt: Marieme. Obwohl sie noch ein Stück unter dunklen Hauseingängen zu gehen hat, macht man sich um sie kaum Sorgen. So offensichtlich ist diese 16-Jährige eine, die sich zu wehren weiß. Nicht gegen alles: zuhause beschützt und kümmert sie sich um zwei kleinere Schwestern, vor dem älteren Bruder, der sie alle drangsaliert, kuscht aber auch sie.

Der Film erzählt, wie Marieme im Folgenden Teil einer Mädchenbande wird, und wie gut sich das für sie anfühlt, auch wenn sie selbst damit gewissermaßen die Seiten wechselt: nun ist sie es, die andere, schwächere Schülerinnen um zehn Euro erpresst oder sich gar auf Prügelduelle einlässt, in der die Siegerin ihre Dominanz über die am Boden Liegende damit zeigt, dass sie ihr den BH aufschneidet. Beschämung als ultimativer Stärkebeweis.

Sciammas Film, der ein paar zu übersehende Schwächen hat, wie dass er etwas zu lang ist und seine Hauptdarstellerin zeitweise überfordert, ist mehr als ein feministisches Statement im Sinne, dass auch junge Frauen in Gang-Kriminalität abrutschen können. Die Mädchenwelt, die er zeigt, ist nicht einfach eine Kopie dessen, was man x-mal in amerikanischen Filmen in männlichen Versionen gesehen hat. Sciamma hat genau recherchiert und beobachtet: so gut sich das Gangleben anfühlt, so begrenz bleibt doch dabei die Macht der Mädchen und so klar begreift Marieme, dass dieser Weg für sie als Mädchen, als Frau nirgendwohin führt. 

Auch im Eröffnungsfilm des "Certain regard" steht eine Frau im Mittelpunkt, und weil das Männer/Frauen-Thema – wie viel Regisseurinnen sind da, und wie viele Filme mit weiblicher Perspektive – in Cannes wegen des chronischen Frauenmangels in den letzten Jahren unter besonderem Augenmerk steht, sei darin schon mal eine Errungenschaft gesehen. Verantwortlich für Party Girl zeichnen gleich drei Regisseure, bzw ein Regisseur und zwei Regisseurinnen: Marie Amachoukeli-Barsacq, Claire Burger und Samuel Theis. Bei letzterem handelt es sich offenbar um den Sohn der Hauptdarstellerin, die zugleich Hauptfigur ist: Angélique (Sonia Theis-Litzemburger) arbeitet mit ihren 60 Jahren noch im "Cabaret". jetzt will einer ihrer Kunden sie heiraten. Und obwohl sie nicht ganz davon überzeugt ist, dass er der Richtige für sie ist, sagt sie ja. 

Auf den ersten Blick ist Party Girl einer jener Filme, die mit Laiendarstellern, echten, runzligen Gesichtern, viel Handkamera und jedem abrupten Schnitt ihre Authentizität beweisen wollen. Sehr schnell aber merkt man, dass zu dieser ausgestellten Authentizität noch etwas hinzu kommt, und das ist der präzise Blick für eine Lebenssituation, die man so im Kino selten sieht. Party Girl ist kein Feelgoodmovie für das ältere Publikum, der zeigt, dass es für Liebe nie zu spät ist oder so ähnlich. Ein Kritiker bezeichnete den Film auf Twitter als "Anti-Gloria", also als den Antagonisten zu letztjährigem Berlinale-Publikumsliebling. Da ist was Wahres dran, und das ist, finde ich, das Tolle an Party Girl. Hier ist es die Frau im Zentrum, die kompliziert sein darf, schwierig, der es gar nicht so leicht fällt, ihr "Partyleben" aufzugeben für eine "gute Ehe", so anständig der Mann auch wirkt. Angélique ist dem Zuschauer nicht unbedingt sympathisch, ihr Kettenrauchen und ihr Hang zum Trinken machen sie nicht gerade zum mütterlichen Vorbild. Trotzdem glaubt man ihren erwachsenen Kindern, dass sie sie durch schwierige Lebensphasen hindurch erst richtig schätzen gelernt haben. Und interessanter als das Mitfühlen im Feelgoodkino ist es doch allemal, wenn ein Film einen dazu bringt, dass man nicht nur mitfühlt mit einer Figur, sondern sie zu respektieren lernt.  

 

 

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