Widerstand und zunehmende Verwirrung
Kleines erfreuliches Erlebnis in epd-eigener Sache. Gestern Abend kam ich beim Mantel anziehen mit der jungen Frau ins Gespräch, die im unwirtlichen Vorraum zum Filmhaus am Potsdamer Platz tapfer einen Werbestand für epd-Film betreut. Als Autorin finde ich es sowieso gut, dass für das Heft geworben wird. Besonders schön aber, dass sie ganz im Gegenteil zu den aggressiv-aufdringlichen Werbern, die einem vor deutschen Bahnhöfen die Sympathie für eigentlich unterstützenswerte NGOs wie »Amnesty« oder »Greenpeace« austreiben können, ist sie keine für die Aktion angeheuerte Söldnerin ist. Sondern ganz im Gegenteil eine echte Kino-Enthusiastin und Kennerin der vertretenen Sache. So etwas ist in solchen Jobs mittlerweile eine Seltenheit. Also, liebes GEP, oder wer immer die Sache organisiert, bitte bei dieser Lösung bleiben und das Marketing auch in Zukunft nicht an externe Agenturen vergeben...
Heute meine erste Wettbewerbskritik seit Jahren für den Tagesspiegel geliefert, also gestern Abend spät (was nicht so ganz meine Zeit ist) den Film gesehen und heute mittag geliefert. Wenn man dann im letzten Moment wegen akuten Platzmangels noch fast ein Viertel kürzen muss, macht das das Ergebnis nicht unbedingt besser. Der Film »Todos os mortos« (Regie: Caetano Gotardo, Marco Dutra) aus Brasilien, ein interessanter wenn auch ein bisschen bieder geratener Versuch, die Widersprüche der Zeit kurz nach dem Ende von Sklaverei und Monarchie an der familiären Situation zweier Familien zu erzählen, die von unterschiedlichen Seiten in das System involviert waren: Den Besitzern einer Kaffeeplantage, die trotz verbalem Beschwören des Fortschritts ihre Verstörungen über die neue Zeit nicht verbergen können. Und ihren ehemaligen Sklaven, die sich jetzt auf dem freien Markt ihren Broterwerb suchen müssen.
Bei der auf dem Podium groß und im Saal eher dünn besetzten offiziellen Pressekonferenz im Hyatt gab es eine extrem emotionale Situation, bei der eine der Produzentinnen – zur aktuellen politischen Situation im Land befragt – ein langes kämpferisches Statement mit dem Ausruf »Resistêntia« und geballter Faust beendet. Der ganze Rest des Podiums und viele im Zuschauerraum gingen spontan mit. Eher bizarr dagegen die Frage (oder besser das Statement) einer deutschen Produzentin aus dem Publikum, die das Fehlen von Männern im Team und im Plot des Films beklagte, bei dem die Väter (weil auf der Suche nach Broterwerb abwesend) im Hintergrund stehen. Ersten Anzeichen einer neuen Tendenz…?
Werde ich langsam dement? Jedenfalls schaffe ich es nicht mehr wir früher, mir einen Plan für das Festival zu machen, der über die zwei oder drei nächsten Filme hinausgeht. Das Ergebnis: Jenseits meiner fest gebuchten Pflichttermine lasse ich mich eigentlich nur noch treiben – und erinnere mich sehnsüchtig an die übersichtlichen Zeiten, als ich vor Berlinale-Beginn an einem Nachmittag mit Hilfe bunter Markierstifte die Broschüre mit den Kinoplänen durchgearbeitet und in eine Zeitplan für die ganze Festivalperiode transformiert habe.
Geht das nur mir so? Nach einer kleine spontanen Recherche gibt es für mich wenigstens in diesem Punkt Entlastung: Denn alle, die ich darauf ansprach (und die nicht einfach den Wettbewerb absitzen), hatten im Prinzip das gleiche Problem. Und das liegt daran, dass es seit einigen Jahren keine anschauliche Aufstellung der Spielpläne nach einzelnen Kinos in einer Übersicht mehr gibt, an denen man seine Planung ausrichten könnte. Vermutlich dachte Kosslick damals, sie seien mit der tollen neuen App nicht mehr nötig. Das stimmte schon damals nicht. Aber jetzt gibt es nicht mal mehr die App. Also, in Ergänzung zur obigen Bitte an die GEP nun eine an die neue Berlinale-Leitung: Bitte, bitte, gebt uns das Heft mit den nach Kinos sortierten Übersichtsplänen zurück!! Andere Festivals schaffen das doch auch.
PS: Ganz ausräumen kann ich zunehmenden Gedächtnisverlust leider doch nicht, ich habe die dunkle Ahnung, letztes Jahr schon einen ganz ähnlichen Appell geschrieben zu haben...
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