Kein rauschendes Fest
Zwei chinesische Filme bestimmten die Diskussion im letzten Drittel des Berlinale-Wettbewerbs: Zhang Yimous »One Second« und Wang Xiaoshuais »So long, My Son«. Den Film von Zhang Yimou, der seine Karriere 1988 auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären für »Das rote Kornfeld« startete, bekam niemand zu sehen. Er wurde von den chinesischen Behörden zurückgezogen, angeblich wegen »technischer Probleme in der Postproduktion«.
Ein Fall von Zensur – das war jedem klar – und der erste Film, der in der langen Geschichte der Berlinale aus dem Wettbewerb herausgeholt wurde. Die Filme von Zhang Yimou waren in der vergangenen Zeit eher linientreu, umso mehr wundert es, dass die Behörden ihr Exempel am wahrscheinlich immer noch prominentesten chinesischen Regisseur statuierten.
Wang Xiaoshuais »So long, My Son« war das Meisterwerk des diesjährigen Wettbewerbs. Ein Film mit einem langen Atem mit seinen drei Stunden Laufzeit, dem man aber auch noch länger hätte zuschauen können. »So long, My Son« ist ein historischer Bilderbogen, der drei Jahrzehnte chinesischer Geschichte umfasst, ein wunderbar konstruierter Film, der immer wieder zwischen den Zeitebenen springt.
Der politische Rahmen ist die Ein-Kind-Politik, die die chinesische Regierung seit Ende der 1970er Jahre durchsetzte. Zu Beginn des Films stirbt das Kind von Liyun und Yaojun. Aber auch, wenn sie ein anderes Kind adoptieren, das sie nach ihrem verstorbenen Xinxing nennen, wird nichts mehr so sein wie es war. Liyun wird zur Abtreibung gezwungen, weil sie ja schon ein Kind hat. Die drei sind irgendwie auch die Verlierer von Chinas Weg in die Marktwirtschaft.
»So Long, My Son« wäre der ideale Gewinner des Goldenen Bären, privat und politisch zugleich, und noch dazu furios und emotional erzählt Aber die Jury unter dem Vorsitz der französischen Schauspielerin Juliette Binoche entschied sich für die französisch-israelische Produktion »Synonymes« von Nadav Lapid. Das ist sicherlich auch ein kraftvoller Film, der in grotesken Sketchen von den Versuchen eines jungen Israeli erzählt, in Paris beziehungsweise Frankreich heimisch zu werden. Aber das Wasser reichen kann er »So Long , My Son« nicht. Immerhin haben die beiden großartigen Schauspieler aus dem chinesischen Beitrag, Yong Mei und Wang Jingchun, Silberne Bären für die besten Darsteller gewonnen.
Aber die Stimmung eines Abschlussfests unter Freunden, wie der letzte Wettbewerb des scheidenden Berlinale-Leiters Dieter Kosslick gerne apostrophiert wurde, wollte sich nicht einstellen. Dazu gab es zu viele fragwürdige Beiträge. Fatih Akins »Der goldene Handschuh« war ein erkenntnisleerer Slasher-Horror, Angela Schanelec' »Ich war zuhause, aber«, erschöpfte sich in der spröden Ästhetik der Berliner Schule (auch wenn sie dafür einen Silbernen Bären für die beste Regie erhielt), »Elisa y Marcela« von Isabel Coixet (auch sie ein oft gesehener Gast auf der Berlinale) trug den Kitsch mitunter ziemlich dick auf, und »Mr. Jones« von Agnieszka Holland erwies sich als zähes und politisch dubioses Politstück.
Einen aufrechten und mutigen, wenngleich ziemlich konventionellen Film hat Francois Ozon gedreht: »Grace a Dieu« (Gott sei gelobt). Es geht um den Fall des Paters Bernard Preynat, der in den 1980er Jahren über 70 Jungen sexuell missbraucht hat und dessen Verbrechen von der Kirche und dem Kardinal Barbarin unter den Tisch gekehrt wurden. Fast dokumentarisch schildert Ozon, wie sich drei Opfer zusammen finden und einen Verein zur Aufdeckung dieser Verbrechen gründen. Ozon verwendet die echten Namen der beiden Kirchenleute, aber bislang sind alle Versuche, den Film per einstweiliger Verfügung zu stoppen, gescheitert: In dieser Woche, am 20. Februar, soll er in Frankreich anlaufen. In Berlin ist er mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet worden.
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