Geschichten von Selbstbehauptung
Wenn es ein Gesicht gibt, das den ersten Teil dieser Berlinale prägte und das auch nach ihrem Ende noch in Erinnerung bleiben wird, dann ist es das der kongolesischen Schauspielerin Véro Tshanda Beya. Immer wieder zeigt es der Regisseur Alain Gomis in seinem Wettbewerbsbeitrag »Félicité« in Großaufnahme, es wirkt auch wie ein Symbol für den Kampf ums tägliche Überleben in Afrika. Félicité ist Sängerin in Kinshasa im Kongo, eine stolze Frau, wie ihr mitunter vorgeworfen wird, sie hat ihr Auskommen als Frontfrau einer Band, die Afrikanisches mit Rock vereint. Als ihr Sohn einen Motorradunfall hat und sein Bein zu verlieren droht, beginnt Félicités Kampf um das Geld, das sie für die OP braucht.
Es ist eine Odyssee durch die Stadt, zu ihrem Ex-Mann, zu Verwandten, sogar zu einer Art Gangsterboss, erzählt in hektischen, mit Handkamera aufgenommenen Bildern. Das Zählen und Einstecken des Geldes strukturiert diesen Film, der viel erzählt vom Alltag der Menschen. Ein Running Gag ist der defekte Kühlschrank in ihrer Wohnung, den ihr Tabu, ein Stammgast der Bar und Schwerenöter und Trinker, zu reparieren versucht.
Félicité wird es nicht schaffen, das Geld zusammenzubekommen. Das erste Drittel des Wettbewerbs der Berlinale gehörte den privaten Tragödien, mit starken Frauen im Zentrum, die um ihre Selbstachtung und Selbstbehauptung kämpfen müssen. In Sebastian Lélios »Una mujer fantastica« verliert Marina ihren Geliebten durch einen Herzanfall. Marina hieß früher einmal Daniel, ist eine Trans-Frau. Nicht nur ist sie beständig Demütigungen ausgesetzt, es wird ihr auch durch die Ex-Frau und Familie des Verstorbenen das Recht abgesprochen, den Tod ihres Geliebten zu betrauern.
In Agnieszka Hollands polnischem Wettbewerbsbeitrag »Pokot« (was "Jagdbeute" bedeutet) begehrt Duszejko, eine ältere Dame, die im Rentenstand als Lehrerin arbeitet, gegen den Jagdbetrieb um sie herum auf. Duszeijko lebt zurückgezogen mit ihren Hunden in einem Haus am Wald, ist Hobby-Astrologin und neigt dazu, auch der Polizei ihren Kampf um die Tiere in längeren, heftigen Monologen herzubeten. Sie wirkt seltsam, doch auch sehr sympathisch – in ihrem aussichtslosen Kampf gegen die Jagd-Mafia, zu der auch der katholische Priester gehört.
Drei Menschen kommen um sie zu Tode, und lange löst der Film die mysteriösen Fälle nicht. Waren es vielleicht doch die Tiere selbst, die aus dem Wald heraus die Menschen mit glühenden Augen beobachten? Mehr als Tierfährten findet die Polizei jedenfalls nicht an den Tatorten. Holland hat in den letzten Jahren Regie geführt bei ambitionierten TV-Serien wie »The Wire« und »House of Cards«, und vielleicht hat sie das inspiriert zu diesem Film, der mit Andeutungen arbeitet und vieles offen lässt – bevor er es allerdings am Schluss ziemlich trivial auflöst. Bis dahin allerdings ist »Pokot« ein sehenswerter Mix aus Kleinstadt-Satire, Horrorfilm und Ökothriller, sicherlich einer der stärksten Filme im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale.
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