Klingt anstrengend
Auf jedem Filmfestival dieser Welt feiert das Kino auch sich selbst, seine Magie und immer auch ein bisschen seine Geschichte. Die diesjährige Berlinale jedenfalls blickt mit ihrem Eröffnungsfilm zurück auf jene glorreiche Zeit, als der Film noch eine Industrie war, gelenkt von Studiobossen und noch nicht von aktenstudierenden Finanzmanagern. »Hail, Caesar!« ist der neue Film der Brüder Joel und Ethan Coen, und Josh Brolin spielt darin einen »Fixer«, einen Mann fürs Grobe, der dafür sorgen muss, dass der schöne Schein der Traumfabrik gewahrt bleibt – auch wenn der größte Star des Studios (George Clooney) während der Produktion eines Sandalenfilms verschwunden ist. Es scheint, als würde »Hail, Caesar!« an den vor einem Vierteljahrhundert entstandenen »Barton Fink« der Coens anknüpfen. Zur Europa-Premiere der nostalgischen Hollywoodsatire wird auch George Clooney kommen, der oft in Babelsberg gedreht hat, etwa »Monuments Men«. So ganz neu ist »Hail, Caesar!« auch nicht, Anfang Februar ist er in den USA und Kanada angelaufen, weshalb er außer Konkurrenz gezeigt wird.
Und dann ist sowieso erst einmal Schluss mit Hollywood. Die Zeiten, als sich die Berlinale noch den Vorwurf gefallen lassen musste, die Europa-Plattform der US-Majors zu sein, sind längst vorbei. Der Wettbewerb scheint sich in den letzten Jahren eher als eine Entdeckersektion zu verstehen, mit Regisseursnamen aus dem Indiebereich und Filmen, die man zuvor etwa in der Innovativabteilung des Festivals, dem Internationalen Forum des jungen Films, vermutet hätte. Das muss ja nichts Schlechtes sein und demonstriert eine gewisse Offenheit – es lässt aber die Grenzen zwischen den Sektionen immer mehr schmelzen. Und sieht man einmal von Spike Lee (dessen »Chi-Raq« ebenfalls außer Konkurrenz läuft), Tomas Vinterberg (»The Commune«), André Téchiné (»Being 17«) oder Mia Hansen-Løve (»Things to Come«) ab, sind kaum Namen dabei, die man außerhalb des Festivalzirkus' kennen dürfte.
Allerdings darf man durchaus auf einige Filme gespannt sein. Der US-Beitrag »Midnight Special« ist eine Mischung aus Roadmovie, Familiengeschichte und Science Fiction – und Jeff Nichols einer der interessantesten Regisseure aus dem amerikanischen Indie-Bereich. Der italienische Dokumentarfilm »Fire at Sea« beschäftigt sich mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik anhand der Insel Lampedusa, wo jede Woche Hunderte Menschen anlanden. Und in diesem Jahr gibt es auch den längsten Film, der je in einem Berlinale-Wettbewerb zu sehen war: »A Lullaby for the Sorrowful Mystery«. In 482 Minuten, also acht Stunden, die einstündige Pause nicht eingerechnet, blendet der philippinische Regisseur Lav Diaz zurück zum Beginn des modernen philippinischen Staats im frühen 20. Jahrhundert. Doch er ist beileibe nicht der längste Film des Festivals: Übertroffen wird er noch von Ulrike Ottingers Doku »Chamissos Schatten« – 12 Stunden. Die läuft im Forum, dem traditionellen Ort für überlange Filmwerke.
»24 Wochen« heißt der einzige – rein – deutsche Wettbewerbsbeitrag in diesem Jahr, neben einigen Koproduktionen. Es ist, auch das ein Novum, der erste deutsche Hochschulabschlussfilm im Wettbewerb, entstanden an der Ludwigsburger Filmakademie. Im Film von Anne Zohra Berrached geht es um Spätabtreibung und um die Entscheidung einer Mutter, ob sie das Kind, das nicht gesund zur Welt kommen wird, behalten soll oder nicht. Festivalleiter Dieter Kosslick war 2001 mit dem Anspruch angetreten, den zuvor eher lieblos behandelten deutschen Film auf der Berlinale stärker zu berücksichtigen. Heftig umbuhlt hat wohl die Berlinale, nach allem was man hört, die Produzenten von Tom Tykwers neuem 20 Millionen Euro teurem Film »Das Hologramm des Königs«; die wollten aber den Film vor dem Kinostart im April nicht auf einem Festival zeigen. Insgesamt laufen 72 deutsche Filme auf der Berlinale, wie Kosslick nicht müde wird zu betonen. Da sind allerdings die 50 Werke der Retrospektive, die sich dem deutsch-deutschen Filmjahr 1966 widmet, schon mit eingerechnet ...
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