Außer (Fessel-)Späßen nichts gewesen?
Eine weiteres Jahr ist vorüber, eine weitere Berlinale vergibt am Samstag ihren Goldenen Bären und ein weiteres Mal wird man Festivaldirektor Dieter Kosslick aus allen Richtungen gratulieren. An der Oberfläche scheint ja auch alles in bester Ordnung zu sein: Mit Christian Bale, James Franco, Nicole Kidman und Natalie Portman liefen genug Hollywoodstars über den Roten Teppich, um den Hunger von Filmfans und Glamour-Fotografen zu befriedigen. Die deutschen Wettbewerbsbeiträge enttäuschten nicht, sondern im Gegenteil, besonders Sebastian Schippers in einer einzigen Einstellung gedrehte Banküberfallsgeschichte »Viktoria« begeisterte die Kritik auch über nationale Grenzen hinaus. Und selbst die Filme, die der Berlinale den zweifelhaften Ruf des politisch-korrektesten aller Festivals eingebracht haben, Filme mit großen Anliegen und Weltverbesserungsanspruch, bestanden in diesem Jahr überraschend oft als spannende und auch formal interessante Werke.
Zwar wurde der Eröffnungsfilm, Isabel Coixets Polarnachtsfilm »Nobody Wants The Night« größtenteils verlacht, dem Rest des Wettbewerbs aber konnte immer zumindest ein Teil des Publikums etwas abgewinnen. Werner Herzogs leicht schwülstige Orientsaga »Queen of the Desert« hatte seine atmosphärischen Wüstenaufnahmen. Der Rumäne Radu Jude wies in seinem »Aferim!« auf den vergessenen historischen Skandal hin, dass noch im 19. Jahrhundert in Rumänien Zigeuner versklavt wurden. Peter Greenaway outete in seinem »Eisenstein in Guanajuato« den »Panzerkreuzer Potemkin«-Regisseur als schüchternes schwules Künstlergenie und bot damit zumindest ideell dem Feind der Stunde, Vladimir Putin, die Stirn. In »Under electric Clouds« von Aleksej German Jr. wurde der verkommene Zustand Russlands in geistreichen und zugleich geschmackvollen Metaphern enthüllt.
Unter den "politischen" Filmen des Festivals ragten besonders zwei Werke heraus. Mit »Taxi« handelt der im Iran unter Hausarrest stehende Regisseur Jafar Panahi dem ihm auferlegten Arbeitsverbot erneut zuwider. In »Taxi«, bereits sein dritter unter höchstem Risiko für alle Beteiligten gedrehter Underground-Film, kommt die ganze Problemlage des Irans zur Sprache, trickreich inszeniert durch die Fahrgäste, die Panahi, der sich selbst spielt, zu sich ins Auto setzt. Die Härten der Scharia-Gesetze, die Lage der Frauen und Mädchen, die allgegenwärtige Korruption und die Perfidie des Geheimdienstes. Und dabei gelingt es Panahi einen Ton des souveränen Humors zu halten, der unterhaltsam ist ohne seine Bitterkeit zu verbergen.
Als echte Entdeckung des diesjährigen Festivals wird der guatemaltekische »Vulcano« von Jayro Bustamante gehandelt. Als allererster Wettbewerbsbeitrag aus dem mittelamerikanischen Land übertraf der Film die in ihn gesetzten Erwartungen. Er zeigt nicht nur das Los der indigenen Bevölkerung und verleiht einer unterdrückten Minderheit eine Stimme, nein, Bustamanta reduziert seine Figuren nicht auf ihren Ethno-Status, sondern entfaltet sie als lebendige, mit intelligentem Pragmatismus zwischen Tradition und Moderne balancierenden Charaktere.
Beide Filme, »Taxi« und »Vulcano« werden deshalb als Favoriten gehandelt, wenn auch nicht unbedingt für den Hauptpreis des Goldenen Bären. Sicher scheint jedoch irgendeine Form der "Anerkennung". Als umstrittener Spitzenkandidat für den Goldbär gilt unterdessen Terrence Malicks »Knight of Cups«, der mit seiner elegisch-lebensphilosophischen Bilderfluss das Publikum der Berlinale polarisierte, von dem man sich aber vorstellen kann, dass er genau nach dem Geschmack des diesjährigen Jury-Präsidenten Darren Aronofsky ist. Vorstellbar wäre aber auch eine Entscheidung gegen den Strich und für den stillsten Film des Festivals, das verhalten-emotionale Ehe-Drama »45 Years« des Briten Andrew Haigh. Oder für den kunstvoll-polemischen chilenischen Beitrag »The Club«, in dem Regisseur Pablo Larrain den Umgang der katholischen Kirche mit dem Thema Missbrauch anprangert.
Doch bei aller oberflächlicher Zufriedenheit, brach sich in diesem Jahr ein unheilvoller Trend Bahn: Mit der Weltpremiere des SM-Softpornoverfilmung »Fifty Shades of Grey« ist der Berlinale ein wahrer Coup gelungen – der doch nach hinten losging. Das Ereignis zog ein Maximum der medialen Aufmerksam auf sich. Und das obwohl der Film schon im Vorhinein allenfalls als Phänomen und nicht als Kunstwerk von Interesse galt. Doch es war wie die bekannte Abstimmung mit den Füßen: Der entstandene Medienrummel nahm der Berlinale für einen Tag den Atem – um danach ein regelrechtes Vakuum zu hinterlassen. Wer interessiert sich noch für Arthouse-Kino, wenn über keinen Film mehr diskutiert wird als über »Fifty Shades of Grey«?
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