Kanonenbootdiplomatie
Meinen ersten Eindruck vom Faszinosum, das Panama für die USA darstellt, gewann ich als junger Zuschauer von „Arsen und Spitzenhäubchen“. Damals wusste ich noch nicht, dass es vor allem ein Begehren ist. Ich hielt es eher für ein kurioses Trauma.
Sie erinnern sich gewiss an Cary Grants verrückten Bruder Teddy, der sich für seinen Namensvetter Roosevelt hält. Regelmäßig bläst er in seine Trompete, als müsse der San Juan Hill auf Kuba neuerlich erstürmt werden. Im Keller wartet indes der Panamakanal darauf, weiter ausgehoben zu werden. Tatsächlich aber schaufelt er da unten Gräber für die Opfer seiner mildtätigen Tanten, die ihn glauben lassen, er würde Arbeiter bestatten, die vom Gelbfieber dahingerafft wurden.
Während des Zweiten Weltkriegs, als Frank Capras Komödie entstand, erntete das bestimmt eher mulmige Lacher, aber das gehörte zum schwarzhumorigen Konzept. Dem Isthmus zwischen Atlantik und Pazifik war erneut enorme strategische Bedeutung zugewachsen, wovon schon ein paar Jahre John Hustons Reißer »Abenteuer in Panama« erzählte. So ulkig wie Teddys Phantastereien bei Capra war die Beziehung der Vereinigten Staaten zur künstlichen Wasserstraße zwar nie, aber gewisse Parallelen zur Realität lassen sich nicht von der Hand weisen. Der Bau des Kanals kam in der Tat erheblich langsamerer voran, als es sich Präsident Roosevelt erhoffte. Erst einer seiner Nachfolger konnte ihn knapp anderthalb Jahrzehnte eröffnen und das erste US-Frachtschiff passierte ihn 20 Jahre später. Und dass der Kanal in Washington gewisse Wahnvorstellungen auslöst, gilt bis heute.
Da mich in den letzten Tagen ein hartnäckiger Virus ans Bett fesselte, war es nichts mit dem Filmeschauen. Statt dessen griff ich nach einem Roman, der schon seit geraumer Zeit im Stapel auf meinem Nachttisch liegt: "Die geheime Geschichte Costaguanas" von Juan Gabriel Vásquez. Zwar strapazierten die stilistischen Koketterien des Autors eingangs beträchtlich meine Nerven, aber als ich merkte, dass es um den Bau des schicksalhaften Kanals ging, blieb ich bald munter am Ball. Mittlerweile schlägt die Außenpolitik der Trump-Administration zwar täglich neue, böse Kapriolen. Aber mit denen hält man ja ohnehin kaum Schritt. Und als Leserin bzw. Leser dieses Blog wissen Sie, dass die Aktualität nicht immer meine schönste Sorge ist.
Vásquez`Roman handelt von einem fiktiven Ideenraub. Sein Ich-Erzähler ist überzeugt, dass Joseph Conrad seine Familiengeschichte als Grundlage für »Nostromo« genommen hat. Der handelt indes nicht vom Bau eines Kanals, sondern der Ausbeutung einer Silbermine. Auch spielt er nicht in Panama, sondern einem erfundenen südamerikanischen Land namens Costaguana. Aber gerade diese Fiktionalisierung wurmt den Erzähler. Er sucht Vergeltung, indem er ausführlich die Chronik seiner Familie nacherzählt. Als begeisterter Conrad-Leser ging ich an dieses hochstaplerische literarische Unternehmen durchaus parteiisch heran. Aber die "wahre" Geschichte zog mich dann doch unweigerlich in den Bann. Sie beginnt 1820 mit der Geburt seines Vaters, dessen Leben untrennbar und verhängnisvoll mit dem Plan eines Kanalbaus verknüpft ist. Dieser wird bereits, wie mich der Wikipedia-Eintrag belehrt, seit Beginn der spanischen Kolonisation erwogen: Der Gedanke war natürlich verlockend, sich die gefahrvolle Passage um Kap Hoorn bzw. durch die Magellanstraße zu ersparen.
1820 ist Panama noch ein Bundesstaat von Kolumbien, der weit entfernt liegt von der Hauptstadt Bogota. Miguel Altarmiro ist ein freigeistiger Tunichtgut, der nach der unwissentlichen Zeugung seines Sohne José und der vorsätzlichen Ermordung eines Priesters (welche allerdings durch den Ausbruch einer der zahlreichen Revolutionen kaschiert wird) in die nördliche Provinz flieht. Um die Jahrhundertmitte hat sie unverhoffte topographische Bedeutung gewonnen, denn in Kalifornien ist der Goldrausch ausgebrochen. Durch Panama führt bereits eine Eisenbahnlinie, die den Seeweg weitaus kürzer erscheinen lässt als die beschwerliche Landreise von der Ost- an die Westküste der USA. Die Provinz birst vor Gringos. Sie ist, was knapp ein Jahrhundert später Kuba für die USA sein wird (Capras Teddy hatte schon die richtige Nase): ein Bordell mit zusätzlich strategischer Bedeutung.
Aber Miguels große Stunde schlägt, als andere Mächte diesen geopolitischen Vorzug entdecken. In Frankreich wird eine Gesellschaft zum Bau eines Kanals gegründet, deren Präsident die besten Empfehlungen hat: Ferdinand de Lesseps, der Erbauer des Suezkanals. Der bis dahin eher dilettierende Journalist Miguel wird verpflichtet, die Fortschritte des Vorhabens in einer eigens gegründeten Zeitung zu verherrlichen. Anfangs geht es tatsächlich schnell voran. Lesseps Ingenieure verstehen ihr Metier. Mit den geologischen Eigenschaften des Baulands, dem unberechenbaren Wetter und den ebenso volatilen politischen Zuständen haben sie nicht gerechnet. Aber kein noch so empfindlicher Rückschlag und keine noch so verheerende Naturkatastrophe fechten Miguel an. Er verfasst fake news am laufenden Meter; nicht nur, um die Aktionäre in Paris bei Laune zu halten, sondern aus tiefster Überzeugung. José, der endlich seinen leiblichen Vater kennenlernen will, wird zum hilflosen Zeugen seiner Verblendung. In den 1880er Jahren bricht das Kartenhaus zusammen, die Gesellschaft ist ruiniert, die Aktionäre sind betrogen, Lesseps verliert seinen Heiligenschein und Miguel wird zum Paria. Es bleibt ein verwüstetes Land zurück.
Von Vásquez ist viel zu erfahren über das historische Selbstverständnis Kolumbiens und die Instabilität seiner politischen Verhältnisse (Indigene kommen nur am Rande vor, in der Regel als allerdings heroisch gescheiterte Aufrührer). Der Roman wiegt sich in seiner Unergründlichkeit und beklagt seine Verführbarkeit. Eigentlich geht es immer nur noch bergab unter wechselnden Regimes. Eine melancholische Lektüre, auch ohne das Hadern mit Conrad. Aber Elan wohnt ihr erstaunlicherweise inne. Denn es kommt neues Leben in das Kanalprojekt. Teddy Roosevelts Außenminister John Hay nimmt Verhandlungen mit Bogotá auf. Ich kenne ihn aus »Der Wind und der Löwe«, wo ihn John Huston spielt: gewieft, aber ein Waisenknabe verglichen mit seinem Präsidenten, Die amerikanischen Bedingungen sind inakzeptabel für Bogotá. Aber das Fieber bricht erneut aus, nun auch angestachelt vom Unabhängigkeitsstreben der Provinz. (Miguel wird die Früchte seiner Propaganda nicht mehr auskosten, er stirbt vorher als ein Gespenst seiner selbst.) Ein Putsch kündigt sich an und vollzieht sich in Windeseile. Das Kanonenboot Nashville kreuzt vor der Küste. Es muss keinen Schuss abfeuern. Schon damals lief alles auf einen Deal hinaus: Die regierungstreuen Truppen geben auf und werden für ihren Abzug mit US-Dollars entlohnt.
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