Kampfkunst

In diesen Tagen - besonders heute, da „Mond“ von Kurdwin Ayub anläuft - darf man den Eindruck gewinnen, dass junge Heldinnen gerade hartleibiger werden. Florentina Hotzinger verkörpertdarin eine MMA-Meisterin, die es von Wien nach Jordanien verschlägt. Auch der brandneue Roman von Helene Hegemann kreist um eine junge Kampfsportlerin, die kräftig einsteckt und austeilt. Ist der Titel „Striker“ schon Programm? Oder handelt es sich um eine zufällige Parallele?

Es ist nicht völlig auszuschließen, dass diese Figuren Maß nehmen an den Amazoninnen der Marvel-Filme. Wahrscheinlicher aber scheint mir, dass ihre Wehrhaftigkeit aus ihrer jeweiligen Alltagsrealität abgeleitet und der Erkenntnis geschuldet ist, sich darin kraft Mixed Martial Arts besser behaupten zu können. Eine plausiblere Inspirationsquelle wären also vielleicht Filme wie „Girlfight – Auf eigene Faust“ von Karyn Kusuma, wo Michelle Rodriguez beim Boxtraining ein neues Selbstbewusstsein entwickelt. Darin muss man noch keinen Trend einer neuen Abgebrühtheit ausmachen, aber es lohnt sich gewiss, die Augen offen zu halten nach gerade entstehenden Rollenbildern. Mich begeisterte in den letzten Tagen allerdings ein Film, der das Ende der alten verhandelt: „L'amour et les forêts“ von Valérie Donzelli. Er ist ein Höhepunkt des 27. Festivals der Francophonie, das dieser Tage im Votivkino in Wien beginnt.

Seit dem fulminanten „La Guerre est declarée“ (Das Leben gehört uns, 2012) kommen die Regiearbeiten der gelernten und Nach-wie-vor-Schauspielerin Donzelli leider nur sporadisch in unsere Kinos. Ich fürchte, ihrem neuen Werk wird es ebenso ergehen (bislang gibt es nur einen internationalen Titel, „Just the two of us“), obwohl es 2023 in Cannes lief und im letzten Jahr den César für die beste Drehbuchadaption gewann. Donzelli und und ihre Regiekollegin Audrey Diwan haben es nach einem Roman von Éric Reinhardt (auch er auf dem hiesigen Markt ein Unbekannter) geschrieben. Es handelt von Partnerschaftsgewalt. Virginie Efira spielt hier ihre zweite Lehrerinnen-Rolle nach „Les enfants des autres“ von Rebecca Zlotkowski, für den ich mir auch dringend einen deutschen Verleih wünschte. Es ist zugleich ihre erste Doppelrolle, sie verkörpert Zwillingsschwestern.

Blanche ist Single und wird von ihrer Schwester animiert, auf Partnersuche zu gehen. Auf einer Party begegnet sie einem Schulfreund wieder, der den trügerischen Namen Grégoire Lamoureux trägt. Melvil Poupaud spielt ihn, was erst einmal ein Grund zur Zuversicht wäre - zumal, wenn man „An einem schönen Morgen“ im Hinterkopf hat, Mia Hansen-Loves vortreffliche Ode an den romantischen Neuanfang. Eingangs wirkt der Bankangestellte in der Tat wie ein Märchenprinz auf Bestellung, liest Blanche jeden Wunsch von den Lippen ab. Bald jedoch erweist sich Grégoire als ein Meister des Gaslighting, ein Narzisst, der ihr Leben bis ins letzte Detail kontrollieren will. Nach einer halben Stunde ertappt sie ihn bei seiner ersten Lüge – der Umzug von der Normandie nach Lothringen geschah nicht auf Geheiß seiner Vorgesetzten, sondern entsprang vielmehr seinem Wunsch, sie zu entwurzeln. Es ist ein gewiefter Manipulator, auf jeden Übergriff erfolgt umgehend eine inbrünstige Entschuldigung. Blanche' Schwester hat ihn früh durchschaut, ihre skeptischen Blicke fungieren als ein vergebliches Korrektiv.

Donzelli und Diwan erzählen das Drama dieser Ehe in einer komplexen Rückblendenstruktur. Ein Opfer legt Beichte ab: Blanche vertraut sich einer Frau an, die man zuerst für einen Therapeutin hält, die sich am Ende aber als Anwältin entpuppt. Als Blanche eine Kontaktanzeige aufgibt und sich mit einem Mann trifft, der das genaue Gegenteil von Grégoire zu sein verspricht – ein ausgeglichener Freigeist, der im Wald wohnt und sie das Bogenschießen lehrt-, eskaliert die Ehehölle. Grégoire versteht sich auf eine perfide Täter-Opfer-Umkehr. „Schau, wie weit du mich gebracht hast!“ hält er ihr vor, nachdem er sie geschlagen hat. Er hat das klassische System der Unterdrückung aufgebaut, macht sie dafür verantwortlich, dass ihre Kinder traumatisiert würden durch ihr Verhalten. Blanche erträgt es nicht mehr, ihre Ohnmachtsanfälle häufen sich. Laurent Tanguys Kamera unterläuft den Realismus mit expressiven Farbakzenten.

Allmählich richtet der Film so etwas wie einen geschützten Raum für Blanche. Er etabliert ein Netzwerk weiblicher Unterstützung. Nicht nur die Gesprächspartnerin, eine Ärztin, ihre Kolleginnen und ihre unbedingt loyale Schwester gehören dazu. Das Wunderbare an diesem Netzwerk ist, wie Donzelli es besetzt hat: mit lauter vertrauten Gesichtern, die dem französischen Kino letzthin bedauerlich abhanden gekommen sind. Marie Riviére, bekannt aus Rohmers Liebesfilmen, spielt die Mutter. Dominique Reymond, die bei Chabrol, Garrel, Sandrine Veysset und anderen gespielt hat, verkörpert mit sanfter Bestimmtheit die Anwältin. Und dann treten lauter Darstellerinnen auf, die vor Jahrzehnten unverzichtbar zum Antlitz der Nouvelle Nouvelle Vague gehörten, Romane Bohringer, Laurence Côte, Nathalie Richard und Virgine Ledoyen, die als Candice in ein, zwei Szenen zu einem Kraftfeld des Widerstandes wird. Blanche trifft sie im Krankenhaus, ziemlich schnell wird klar, dass der „pétit Monsieur“ (so nennt sie Grégoire) sie kein bisschen einschüchtern kann. Es ist ein großartiges Geschenk, all diesen Darstellerinnen aus einer anderen Generation wieder zu begegnen, sie sind älter, robuster, reifer und anmutiger geworden. Blanche lernt von diesen Partnerinnen, sie geben ihr die Kraft, die sie braucht. Donzelli und Diwan erzählen von einer Selbstermächtigung, die sich in langsamen, festen Schritten vollzieht. Durchaus im Wortsinne, die bedrohlichen Schritte Grégoires vor Blanche' Krankenzimmer finden ein entschlossenes Echo, als sie sich am Ende auf den Weg in den Gerichtssaal macht.

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