Wow, what a groovy place!
In den üblichen Jahresbilanzen wird diese Meldung nicht auftauchen. Deshalb an dieser Stelle: Eines der wichtigsten cinéphilen Ereignisse 2024 war die (Wieder-) Entdeckung von Stephanie Rothman. Gleich an drei Orten – in Frankfurt, Zürich und Berlin – konnte man im Spätsommer das beklagenswert schmale Werk der Exploitation-Regisseurin besichtigen. Das war der konzertierte Versuch der Rehabilitierung einer Filmemacherin, die gründlich aus dem Geschäft und der Geschichtsschreibung hinaus radiert wurde.
Ist Rothman damit jetzt endlich durchgesetzt? Für den Augenblick gewiss. Es war nicht der erste Anlauf dieser Art, bereits 1999 liefen ihre Arbeiten im Rahmen einer Roger-Corman-Retro in Locarno und dann in Köln, 2007 widmete ihr die Viennale eine Werkschau. Nach dem diesjährigen Hattrick wünscht man sich eine Verstetigung ihrer Sichtbarkeit; gern auch auf Heimmedien. Ihr Oeuvre entstand, nach Anfängen bei Corman, in einer kurzen Parenthese während der ersten Hälfte der 1970er Jahre. Danach liefen ihre männliche Cornan-Alumni wie Scorsese oder Jonathan Demme in der kritischen und der Branchenaufmerksamkeit den Rang ab. Rothman hatte genug Zeit, einen eigenen Stil zu entwickeln, der mit flott offensiven zupackenden Kamerastrategien sowie kecken, anzüglichen Dialogen prunkt. Aber nicht genug, um sich zu entfalten.
Die Überschrift meiner Ankündigung vom August, "Der weibliche Blick kann ruppig sein", muss ich mindestens halbwegs revidieren. Ich hatte Rothman ein wenig auf dem falschen Fuß erwischt, denn ich kannte bis dahin nur ihren rabiaten Gefängnisthriller »Terminal Island« (Männer wie Tiger). Gewalt spielt, abgesehen von ein paar knausrigen Schlägereien und der Demo, die in »The Student Nurses« aus dem Ruder läuft, bei ihr sonst eine untergeordnete Rolle. Rothman schert mächtig aus dem aus, was man üblicherweise mit Exploitation-Kino assoziiert. Ich war verblüfft, wie entspannt ihre Drehbücher konstruiert und wie gut gelaunt sie inszeniert sind.
Zur ersten Hälfte meiner damaligen Überschrift kann ich nach wie vor stehen. Rothman vermittelt zweifellos einen Eindruck davon, wie der weibliche Blick aussehen kann. Zunächst einmal dreht sie den Spieß um. In ihren Exploitationfilmen sind entschieden mehr nackte Männer- als Frauenkörper zu sehen, mit einem besonderen Fokus auf Hintern. Sie zielt dabei weniger auf Fetischisierung, sondern eine vernünftige Schaulust. Diese kulminiert in der prächtigen Szene aus »The Working Girls«, wo sich eine Debütantin in einem Striptease-Club den Rat einer Veteranin (the strippers' secret weapon) zu Herzen nimmt und sich vorstellt, ihre Klientel sei unbekleidet.
Rothman dirigiert die Blicke anders: fort vom Objekt und hin zum Subjekt. Das sehende Frauenauge in Großaufnahme zieht sich als Leitmotiv durch ihr Werk. Die Titelheldin von »The Velvet Vampire« beobachtet das Paar, das sie in ihrer Wüstenresidenz aufgenommen hat, heimlich durch einen einseitigen Spiegel im Schlafzimmer. Die junge Frau scheint dies fast zu ahnen, wirft den voyeuristischen Blick zumindest unbewusst zurück. In die Fänge dieser Vampirin zu geraten, muss kein uneingeschränktes Verhängnis, sondern darf eine heilsame Verlockung sein. Die Wüste erscheint zuweilen als ein Garten Eden - inklusive ermunterndem Schlangenbiss. "I'm beginning to like it here!" entfährt es der Gebissenen prompt. Die Realität ist hier ungesichert, in einem von dem Paar geteilten Fortsetzungstraum nehmen dessen Konflikte surreale Gestalt an. Ganz allgemein nutzt Rothman Traumsequenzen, um die Erzählung aufzulockern und gleichzeitig zu dynamisieren.
Die auf Agnès Varda gemünzte Definition des weiblichen Blicks – Frauen in Bewegung zu filmen – erfüllt Rothman beherzt. Nach dem Ende ihrer Filmkarriere wechselte Rothman ins Immobiliengeschäft. Wenn es nicht so empörend wäre, könnte man festhalten, dass sie das Terrain bestens kannte. Denn ihre Filme erschließen sich Los Angeles zunächst als eine Fußgängerinnen-Stadt, was ein zwar paradoxer, aber begrüßenswerter topographischer Zugewinn ist. LA wirkt aus dieser Perspektive unverbraucht, gewinnt unversehens eine Urbanität nach menschlichem Maß. Diese will mit nachgerade candidehaftem Staunen erkundet werden. Diesmal passt meine Überschrift, Ihre Glückssucherinnen sind unternehmungslustig, nicht unbedingt hartgesotten, dafür aber furchtlose Hedonistinnen.
Natürlich stößt diese zwar forsche Art der Mobilität in einer notorischen Autofahrerstadt an ihre Grenzen. Die »Student Nurses« (tagline: "They learn fast!") mögen anfangs noch eine Autopanne haben und auf männliche Hilfe angewiesen sein. Aber Chris, eine der Heldinnen von „Group Marriage“ erweist sich bereits als ausgefuchste Automechanikerin. Am Ende repariert sie sogar flugs den Wagen, mit dem die Polizei die Gruppeneheleute abführen soll. Rothman beschwört eine südkalifornische Lockerheit, die Woody Allen ein paar Jahre später verkrampfen lässt. LA erscheint bei ihr als eine Stadt der auch erotisch kurzen Wegen. Sagen wir es einmal so: Die romantischen Anbahnungen, für die Christian Petzold in „Roter Himmel“ eine geschlagene Stunde braucht, gelingen hier in Windeseile. Jede Zufallsbegegnung birgt ein Versprechen. Ihre Heldinnen beherrschen den Stegreif. Man versteht sich auf Anhieb; dramaturgisch ersprießliche Missverständnisse sind selbstredend nicht ausgeschlossen. Es hilft, dass die Männerfiguren sich in der Regel durch ein unbedarftes, stets aufgeschlossenes Gemüt auszeichnen. Es können freilich auch sonnige Existenzialisten wie der Rettungsschwimmer ( "I' ve known you all my life, I just never met you.") auftreten, der oben genannten Ehereigen athletisch vervollständigt.
Rothman entwaffnet unsere Erwartungen. Die Charaktere schlagen den Konventionen ein Schnippchen. Der Besitzer des Stripclubs in »The Working Girls« etwa ist ein grundsympathischer Kerl, der zwar mit den Zeitläuften hadert – das Aufkommen der Freikörperkultur verhagelt ihm gehörig das Geschäft -, aber die Debütantin nach Kräften fördert und ihr vertrauensvoll die Leitung des Etablissements überlässt. Natürlich gibt es auch reichlich üble Figuren, aber denen sind Rothmans robuste Heldinnen gewachsen. Ihre Szenarien lassen das Unverhoffte zu, sie sind Spielfelder einer aufgeklärten Naivität. Unerschrocken wird mit neuen, freieren Lebensformen experimentiert: Wenn man sich in einer Ehe zu sechst versteht, warum kann es dann nicht auch ein ganzes Land?
Das Ensemble ist die gewitzte Grundfeste von Rothmans Kino (kein Wunder, dass sie bisweilen Howard Hawks zitiert) und das Kollektiv seine lebbare Utopie. Das kann sogar auf der Gefängnisinsel "Terminal Island" gelingen, wo sich eine solidarische, diverse Gegengesellschaft zur eingangs herrschenden Macho-Tyrannei formiert. Wie gut, dass sich ein weiblicher Häftling bestens in Geologie und mit Sprengstoff auskennt! Im Kern arbeitete Rothman an einer souverän unorthodoxen Folklore. Zu den Vorspannen ihrer LA-Filme erklingt irritierenderweise meist Country-Music, gern mit dem Banjo gespielt, aber einmal immerhin auch von John Sebastian. Das mag eine Konzession an den Süden gewesen sein, der traditionell Cormans bester Absatzmarkt war. Aber es steckt mehr dahinter. Denn Rothmans Werk verhandelt auf vertrackte Weise den amerikanischen Traum, sich eine neue Heimat zu erstreiten.
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