Noch Mäzen oder schon Produzent?
Heute um 17 Uhr feiert der neue Pedro Almodóvar in Cannes Premiere. Obwohl „Strange Way of Life“ kein ausgewachsener Film ist, wird der Andrang in der Salle Debussy zweifellos groß sein. Was rede ich – bestimmt ist das Festivalpublikum zum Auftakt dankbar für großes Kino, das nur eine halbe Stunde dauert.
Auch ich bin gespannt auf seinen ersten Western, nicht nur, weil er ihn in der famosen Tabernas gedreht hat, sondern auch, weil er mit „The Human Voice“ bewiesen hat, dass die kurze Form ihn enorm inspiriert (siehe „Ein Werkzeugkasten“ vom 2.8. letzten Jahres). Als Daheimgebliebener werde ich mich gedulden müsssen. Filme, die nicht abendfüllend sind, haben es in hiesigen Kinos schwer. Für solche Ereignisse müssen Sonderlösungen gefunden werden: Der Vorgänger lief für einen Tag, zusammen mit einem Q&A, bei dem der Regisseur und Tilda Swinton Rede und Antwort standen. Der Trailer zu „Strange Way of Life“ verspricht viel.
Produziert wurde der Film von El Deseo, der Firma von Pedro und seinem Bruder Agustin Almodóvar. Allerdings nicht allein, sondern in Kooperation mit der Filmfiliale des Modekonzerns Saint Laurent. Die existiert schon seit ein paar Jahren, nun wird sie geleitet vom Kreativdirektor des Hauses, dem belgischen Italiener Anthony Vaccarello. Sie kann auf eine kurze, aber erstaunliche Filmographie zurückblicken. Gaspar Noe, Abel Ferrara und Wong Kar-Wai haben bereits für sie gedreht, Letzterer allerdings nicht als Regisseur, sondern Konzeptgeber. In Cannes startet das Unternehmen eine kleine Offensive mit großen Namen: Auch den letzten Film von Jean-Luc Godard wird Saint Laurent präsentieren.
All ihren Produktionen ist gemeinsam, dass sie in kein gängiges Kinoformat passen. Noes „Lux Aeterna“ von 2019 hatte zwar einen regulären Start bei uns, aber die Länge von knapp 50 Minuten wird das Publikum doch etwas unzufrieden zurückgelassen haben. Hätte man kombinieren können, beispielsweise mit Ferraras Tagebuchfilm „Sportin' Life“, der in 65 Minuten von der Quarantäne erzählt, die der Regisseur in Rom verbrachte, nachdem er „Siberia“ auf der Berlinale präsentierte und stracks von der Pandemie überrascht wurde. Aber der entstand erst im Jahr darauf. . Noes zweiter Film für Saint Laurent, „Summer of 21“, kam ebenfalls später und wäre mit seinen neun Minuten ohnehin zu kurz für ein abendfüllendes Double feature gewesen.
Yves Saint Laurent war eng mit dem Kino verbunden, allein schon durch seine Muse Catherine Deneuve, für die er regelmäßig Kostüme entwarf. Sein Safari-Look passte auch gut zu „Jenseits von Afrika“. Der Coutourier ist Gegenstand mehrer Dokumentar- und Spielfilme geworden, die zum Teil exzellent, immer aber bemerkenswert waren. Und sein Lebensgefährte, Geschäftspartner und Erbe, der cinéphile Pierre Bergé, avancierte zu einem vornehmen Mäzen hochkarätiger Filmrestaurierungen. Das ist glorreiche Vergangenheit, auf die das Modehaus aufbauen kann, der es sich aber nicht verpflichtet fühlen muss. Mit dem Designer Vaccarello zog ein frischer Wind in dieses Engagement ein. Seine Strategie wirft mehrere Fragen auf. Die erste betrifft das Logo der Firma,. Was ist aus dem schmucken, so griffigen wie eleganten „YSL“ geworden, unter dem das Modehaus früher figurierte? Der jetzige Logo mit dem schlichten Nachnamen wirkt nüchterner. Die entscheidenderen Fragen bretreffen Zweck und Vertriebsform der Produktionen. Einerseits dienen sie der Promotion und erlangen dementsprechend auf Website und sozialen Medien eine exklusive Sichtbarkeit. Auf Youtube sind sie auch abrufbar, zumindest zum Teil. Jim Jarmusch hat bereits einenModefilm für Vaccarello gedreht, für kommende Projekte hat er David Cronenberg und Paolo Sorrentino unter Vertrag genommen. Ein Muster zeichnet sich ab: dekorative, widerspenstige Autorenfilme im Miniaturformat.
Simple Werbefilme sind jedenfalls bislang nicht aus diesem Mäzenatentum hervorgegangen. Nehmen wir „Lux Aeterna“: Mit Hexenverbrennungen, zumal solchen, die von Carl-Theodor Dreyer inspiriert wurden, verkauft man weder Haute Couture noch Konfektion. Vielmehr ist der Film ein Experimentierfeld für Noe, der ausprobiert, wie die Aufteilung von Aufmerksamkeit durch Split Screen funktionieren kann. Das war, zumal in den Plansequenzen, für den Regisseur eine gute Vorbereitung auf „Vortex“. Sein zweiter Film für Saint Laurent, „Summer of 21“, hingegen gibt sich im Titel als ein Showcase für die nächste Kollektion zu erkennen. Tatsächlich sieht man Models, die mit blasiertem Blick posieren und sodann langbeinig schlendern. Das Ambiente soll am die ersten Boutiques an der Rive Gauche erinnern. Das kaufe ich Noes Film aber nicht ab. Er beginnt als eine Giallo-Hommage mit exzentrischer Lichtsetzung – gewiss eine Einstmmung auf die Zusammenarbeit mit Dario Argento bei „Vortex“ - und wechselt dann ins Vestibül eines Theaters, auf dessen Bühne Charlotte Rampling als Zeremonienmeisterin mindestens bizarrer Rituale die Models in ihren Bann schlägt. Gut möglich, dass Rampling dabei ihre Rolle als Hohepriesterin in „Dune“ einübt. Derweil setzt Noes Montage mit Schwarzbildern blitzschnelle Zäsuren, die an seine ganz frühen Filme erinnern. Ich vermute, das genau ist Vaccarellos Konzept: Die Filmemacher sollen um jeden Preis sie selbst bleiben, nur zielstrebiger.
Das sind bestrickende Auguren für seinen nächsten Streich: die letzte, postume , zwanzigminütige kinematografische Geste von Godard, „Phony Wars“ Genau genommen heißt er „Film d'annonce du film qui n'existera jamais: Droles de Guerres“, Trailer zu einem Film, den es nie geben wird. Darin steckt eine geballte Ladung godarschen Pathos'. Gleichviel, als ich den Trailer zum Trailer sah, geschah etwas, das ich mir als ausgesprochenem Gegner der öffentlichen Persona dieses Regisseurs (besserwisserisch, missgünstig, verächtlich, reflexhaft querulant) nie hätte vorstellen können. Ich war gerührt, als ich die leise, zerbrechliche Stimme des alten Schurken hörte, der sich fragt, ob er noch einmal einen Film machen könnte.
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