In einer Geisterstadt
Joanna Hoggs jüngster Langfilm „The Eternal Daughter“ war bei uns bislang noch nicht zu sehen, obwohl er bei seiner letztjährigen Premiere in Venedig sehr postiv aufgenommen wurde. Seither hat sie im Auftrag des Centre Pompidou einen Kurzfilm mit dem Titel „Présages“ (Vorzeichen) gedreht. Ich hatte mir von ihm eine Art Exorzismus erhofft, könnte aber falsch zu liegen.
„Présages“ ist ihre vierte Arbeit in Folge, in deren Zentrum eine Regisseurin steht. Ich fand, dass dieser autobiographische Zug mit „The Souvenir II“ hinreichend ausgereizt war. „The Eternal Daughter“ ist dem Vernehmen nach ein Ausflug in das Genre des Geisterfilms, an den sie nun anknüpft, jedoch in Form eines Tagebuchs. Die „Vorzeichen“ sind ein beziehungsreicher filmischer Notizblock, der im Februar in Los Angeles entstand, wo die Regisseurin ihr nächstes Projekt vorbereitet. Hogg genügen wenige Einstellungen, um zu zeigen, dass ihr Blick auf die Stadt ganz eigentümlich sein wird. Zunächst spiegelt sich ihr Gesicht in dem Fenster, durch das sie auf das nächtliche Panorama schaut, das ihr zu Füßen liegt. Eingangs wirkt das wie eine Doppelbelichtung, mithin ein Geisterbild. Sodann richtet sie die Kamera auf den Himmel und so, wie sie die unerbittlich aufragenden Palmen durch ein Dachfenster filmt, hat man diese noch nicht gesehen. Das Flugzeug, das sie daraufhin des nachts durch Stromleitungen begleitet, wirkt wie ein funkelnder Spezialeffekt.
Erst dann nimmt die Nachahmungsarchitektur der Westküstenmetropole in den Blick, die ihr gar nicht naiv oder anmaßend erscheint, sondern als Imanation von Geschichte. Es gebe hier so viel davon, die Stadt erscheint ihr in einer stetigen Wiedergeburt der Vergangenheit begriffen. So spricht und schaut kein Snob aus der Alten Welt, sondern eine Schaulustige, die nach einer Geschichte sucht, die im modernen LA spielt. „Présages“ entstand im Rahmen einer Reihe, in der das Centre Pompidou zeitgenössischen Filmkünstlern die Frage „Où en etes vous?“ stellt. Das Museum zeigte in diesem Monat eine kleine Werkschau der Regisseurin, zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, möchte man meinen: parallel zum Festivalbeginn in Cannes. Aber auch in Paris gibt es eben daheimgebliebene Cinépile, was man im Verlauf der bemerkenswerten Masterclass spürt, die neben dem Kurzfilm und einem knappen Interview auf der Webseite (Où en êtes-vous, Joanna Hogg ? - Centre Pompidou) abrufbar ist.
Hoggs Film nimmt die Aufgabe beim Wort und liefert eine skrupulöse, gründliche die Vieldeutigkeit der Frage bedenkende Antwort. Das Wörterbuch bietet eben nicht nur die Übersetzung „Wo sind Sie?“, sondern auch „Wo stehen Sie?“ oder gar „Wie kommen Sie voran?“ an. „Présages“ ist intim, vertraulich. Hogg trauert um ihre Mutter, die vor kurzem verstorben ist. Sie erscheint ihr im Traum,, eine subjektive Einstellung folgt ihren Schritten durch einen verschneiten Friedhof. Die Mutter ist nicht das einzige Gespenst, das sie heimsucht in der Fremde. Die Entwurzelung könnte eine Befreiung sein, aber Hogg empfindet sie als eine Krankheit. Sie findet Bilder für ihr Heimweh. Zugleich zögert sie, ihren Blick in Los Angeles zu verankern. In keiner anderen Stadt hat sie so viele Obdachlose gesehen wie in Los Angeles, aber aus Respekt filmt sie deren Camps nicht. Das wäre wie Tourismus und: „What would it mean anyway?“
Hogg skizziert in zehn Minuten eine Ethik der Bildersuche. Ihr Leben und Filmen ist an Orte geknüpft, sagt sie in dem erhellenden Interview, denen sie sich eng verbunden fühlt. Im „The Souvenir“-Ditychon gab es zunächst keinen Ort, nur die Zeit ihrer Erinnerung. Ob ihr nächster Film ebenso selbstreflektiert sein wird, zeichnet sich in „Présages“ nicht ab. Aber in ihm ist der Drang zu spüren, sich eine Geschichte zu erstreiten.
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