Cautio
Das war die gute Nachricht dieses Wochenendes: Jafar Panahi wurde aus dem Gefänfgnis von Evin gegen Kaution entlassen. Der iranische Regisseur hatte keinen Zweifel daran gelassen, wie ernst es ihm mit dem Hungerstreik war, den er am Mittwoch angetreten hatte.
Nun ist die Erleichterung groß, dass er die berüchtigte Haftanstalt lebend verließ. Sein Gesundheitszustand soll den Umständen entsprechend gut sein. Einige Tage zuvor war jedoch bekannt geworden, dass er sich im Gefängnist eine schwere Hautkrankheit zugegezogen habe, und es sah für einen Moment danach aus, als würden ihm die Behörden ein kurze Haftverschonung gewähren, damit er sich in ärztliche Behandlung begeben könnte. Diese Ankündigung blieb ein Gerücht. Der Protest des Filmemachers löste weltweit Erschrecken und Solidaritätsbekundungen aus. Nun wurde er in jene Unfreiheit entlassen, in der er seit 14 Jahren lebt.
Nach der Präsidentschaftswahl im Iran 2009, über die er einen zweifellos entlarvenden Dokumentarfilm drehen wollte, wurde Panahi 2010 wegen "Propaganda gegen das Regime" zu sechs Jahren Haft und Berufsverbot verurteilt. Wie souverän und einfallsreich er Letzteres unterlief, ist dem Festival - und Kinopublikum seither vertraut. Seine Präsenz war eine zweifache: der Abwesenheit und Sichtbarkeit. Fünf Filme hat er seit 2011 gedreht, zuletzt »Keine Bären«, in denen er selbst auftritt. Sein Stuhl als Jurypräsident bzw. - mitglied blieb in Cannes und Berlin jeweils leer. Den Goldenen Bären für »Taxi Teheran« nahm triumphierend seine kleine Nichte entgegen, die darin eine hinreißend altkluge Rolle spielt.
Im vergangenen Juli suchte er das Gefängnis von Evin auf, um sich nach seinem inhaftierten Freund und Kollegen Mohammad Rasoulof zu erkundigen. Er hatte, ebenso wie Ashgar Farhadi und viele andere, eine Petition gegen dessen Verhaftung unterzeichnet. Die Staatsanwaltschaft nahm ihn umgehend in Gewahrsam. Im Oktober entschied das Oberste Gericht in Teheran indes, dass das 2010 gefällte, seither jedoch nicht vollstreckte Urteil gegen ihn inzwischen verjährt ist. Davon nahm das Regime keine Notiz. Kann man Panahi vorhalten, dass er sich vor sieben Monaten in die Höhle des Löwen begab, als er im Gefängnis vorstellig wurde? War das ein Spiel mit dem Feuer, eine kalkulierte Provokation? Seine Verurteilung wird ihm gewiss nicht abstrakt erschienen sein – er kann das Land nicht verlassen, lebt mit den Repressalien und trotzt ihnen Kreativität ab -, aber womöglich doch als etwas vor allem Symbolisches.
Seine Haft ist nur vorläufig ausgesetzt. In einem Rechtsstaat ist die Entlassung auf Kaution mit Auflagen verknüft, einer Meldepflicht etwa oder dem Ausreiseverbot. Über eine Summe, die eventuell hinterlegt werden musste, ist mir nichts bekannt. Die iranische Rechtsprechnung sieht hier durchaus hohe Geldbeträge vor. Die Freilassung ermöglicht es dem Inhaftierten, seine Geschäfte zu regeln und seine Verteidigung besser vorbereiten zu können. Wir kennen das zur Genüge aus US-Gerichtsfilmen und einschlägigen Serien. Aus Sicht der Justiz ist die Kaution eine Vorsichtsmaßnahme, eine so genannte "Sicherheitsleistung", wie der lateinische Ursprung des Wortes besagt. Sie sagt nichts aus über Schud oder Unschuld des Angeklagten. Sie ist präventiv, bei Fluchtgefahr beispielsweise kann das Gericht andere Maßnahmen verhängen. Panahis Freiheit steht also unter Vorbehalt: Die Justiz kann ihn jederzeit zurückfordern. Der Gesichtsverlust für das Regime wäre enorm, wenn dies vor der Genesung des Filmemachers geschähe. Sein Freund Rasoulof kam im Januar für zwei Wochen frei, weil er sich in ein Krankenhaus begeben musste. Wie seine Anwältin erklärte, verkürzt sich seine Haft dadurch nicht, sie wird vielmehr um diese Zeitspanne verlängert.
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