Montagefernsehen

Das Genre des Filmmusikkonzerts scheint in einer Phase angelangt zu sein, die ich höchst ungern heroisch nennen möchte. Allerdings haben Helden, zumal hier zu Lande, gerade Konjunktur. Sie werden von den Orchestern mit großer Geste zelebriert, mit Fanfaren und Paukenschlag und allemal erhebend. Anders gesagt: John Williams lachen wieder erkleckliche Tantiemen.

Im Juli widmete das Rheingau Musikfestival ihm und Hans Zimmer in Wiesbaden einen ganzen Abend. Auch bei den "Highlights der Filmmusik", dem Auftakt der Konzertreihe "Klassik am Odeonsplatz", waren Williams' Partituren zu Beginn des Monats in München prominent vertreten. Der Komponist von »Supermanm« und »Star Wars« darf auch nicht fehlen, wenn an diesem Wochenende mein Heimatorchester, die Nordwestdeutsche Philharmonie, die neue Saison mit zwei Sonderkonzerten eröffnet, die unter dem Motto "Heroes in Film Music" bzw. "Superhelden im Film" stehen. Korngolds Suite "The Sea Hawk"-Suite fehlt beim zweiten Termin, obgleich sie super ist; ansonsten sind die Programme deckungsgleich. Die Philharmoniker aus Ostwestfalen haben ohnehin ein Faible für Hollywood (siehe "Großes Kino im Konzertsaal" vom 15. 10. 2015) und beendeten auch ihre letzte Saison in dessen Zeichen. Klaus Badelts "Piraten der Karibik" fungiert notorisch als als Rausschmeißer ihrer bunten Abende.

Diese neu entdeckte Lust am Heldischen hat wohl nichts mit der Mut der Ukrainier zu tun (solche Programme werden lange im Voraus konzipiert), viel eher scheint sie mir ein Sommerphänomen zu sein. Und dabei kommt es vorrangig auf Schwung an. Der "Raiders' March" von Williams ist ein Garant dafür, dass er sich augenblicklich einstellt; bei der Aufzeichnung vom Odeonsplatz, die 3Sat ausstrahlte, lief er als Vorspannmusik. Das Konzert ist auch auf dem Bildschirm eine stimmungsvolle Angelegenheit. Die Nachmittagssonne verabschiedet sich anfangs und taucht München in goldenes Licht. Die Abenddämmerung scheint zu Anfang noch hinausgeschoben; das Dunkel der Nacht liegt noch fern. Filmhistoriker nannten das früher einmal " the Griffith hour": Eine Stimmung klingt aus, aber noch ist nichts entschieden.

Sir Simon Rattle dirigierte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks durch ein Programm, das sich wenig unterschied vom Waldbühnenkonzert, über das ich am 29. 6. 2015 schrieb („Cosmo, Stimmungsmusik!“). Miklós Rószas "Violinkonzert", aus dem seine Partitur zu „Das Privatleben des Sherlock Holmes“ hervorging, wurde seinerzeit nicht aufgeführt. Hier folgte es auf Rószas "Ben-Hur"- Suite, und die Solistin Veronika Eberle spielte das melancholische Stück wie ein Derwisch. Nach der Pause ging es bunt weiter. Inzwischen war der Abend dennoch angebrochen und München lag im Zwielicht. Das passte gut zu David Raksins "Laura"-Thema, welches von unterschiedlichen Blasinstrumenten wunderbar intoniert wurde. Es fängt als Mysterium an und schwingt sich zu einem Walzer auf. Drumherum jede Menge John Williams, was ein zuverlässiges Flair von Überwältigung in die Dunkelheit brachte.

Vor ein paar Tagen wollte ich mir das Konzert, zum Ausklang eines arbeitsreichen Tages, noch einmal im BR anschauen. Ich hatte nicht genau genug ins Programmheft geschaut: Nun dauerte das anderthalbstündige Konzert nur knapp 60 Minuten und hieß "Sommernacht der Filmmusik." Es wurde moderiert von einer unkonzentrierten Maria Furtwängler, deren Anwesenheit ich bei der 3Sat-Ausstrahlung nicht vermisst hatte. Die Solistin Veronika Eberle war zwar angekündigt, aber herausgeschnitten worden. Die erste Hälfte fehlte gar komplett, weshalb die Cutter beim BR ganz schön tricksen mussten: Furtwängler fragt Sir Simon in einer Halbtotalen, womit er heute beginnen wolle, und er antwortet in Nahaufnahme "Jetzt spielen wir John Williams." Furtwängler wurde nicht müde, ihn als „den wohl größten Filmkomponisten unserer Zeit“ zu feiern. Darüber kann man streiten, muss es aber nicht. Nun jedoch kam mir das Konzert sehr monothematisch vor, obwohl »Laura« lief und niemand im Sender auf den Perkussionisten-Slapstick zu Scott Bradleys »Tom und Jerry« verzichten wollte.

Aus dem Wechsel der Tageszeiten wurde eine Nocturne, deren Lichtstimmung jedoch nicht durchgängig war. Denn in der neuen Schnittfassung spielte, neben Furtwängler und Williams, jetzt München die Hauptrolle. Die Kameraleute und Drohnenpiloten des Senders hatten wirklich alle Hände voll zu tun, den heroischen Schauplatz zur Geltung zu bringen. In die Montage verirrten sich auch mal Schwenks, die früher gedreht worden waren. Zwischendurch dämmert München noch gelegentlich. Vorsichtshalber habe ich heute früh nachgeschaut, ob die Langfassung von 3SAT inzwischen in der Mediathek mit der Version des Bayerischen Rundfunks überschrieben wurde. Nein, aber sie ist leider nur noch bis zum 15. August abrufbar. Wenn Sie diese sehen wollen, suchen Sie sich die richtige Tageszeit dafür aus. Ich empfehle die Grifftith-Stunde.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt