Luftig

Eine zum Glück nicht allzu verbreitete These zu Joe Hisaishis Filmmusiken lautet, sie kämen aus dem Synthesizer. Auch einige Kollegen hängen diesem Irrtum an. Man kann verstehen, weshalb. Sie klingen wie aus einem Guss.

Ihr eigentümlicher Klang ist nicht synthetisch, aber verdankt sich durchaus einer Synthese. Während des Konzerts, über das ich heute spreche, glaubte ich beispielsweise für einen Moment, eine Steel drum zu hören. In der Rhythmussektion des Orchesters aber war keine zu sehen. Vielmehr lagen das Klavier und die anderen Instrumente so dicht aufeinander, dass dieses akustische Trugbild entstand. Der weitflächige Sound von Hisaishis Partituren ist solch nahtlosem Zusammenspiel geschuldet, er ist ein Meister der Verschmelzung, der freilich auch die Solisten nie außer Acht lässt. Für Harfenistinnen etwa sind seine Stücke ein Geschenk.

Für das Publikum ohnehin. Am 7. Mai trat er mit dem Philharmonischen Orchester Strasburg in der Philharmonie de Paris auf, wo er seine im letzten Jahr komponierte 2. Sinfonie sowie Suiten aus den Partituren zu „Ponyo“ und „Prinzessin Mononoke“ dirigierte. Im dortigen Konzertsaal war ich noch nie, er ist terrassenartig angelegt wie im Scharoun-Bau in Berlin und die Elbphilharmonie: Er bettet die auftretenden Klangkörper anmutig ein. In Frankreich ist Hisaishi häufig zu Gast - zuletzt 2019; ohne die Pandemie hätte er seine Fans wohl nicht so lange warten lassen. Nun hatte er sichtlich Vergnügen daran, wie spielfreudig das Orchester sich auf seine Kompositionen einließ. Allerdings kann man sich auch schwer vorstellen, dass seine Musik je anders als frisch wirken könnte. Selbst wenn sie zurück blickt – etwa in vergangene Epochen, die es nur in der Phantasie von Hayao Miyazaki gab und Isao Takahata gibt -, existiert sie ganz im Hier und Jetzt. Ich hätte mir gern noch einen Ausflug in Hisaishis Arbeiten mit Takeshi Kitano gewünscht, aber so wirkte das Programm atmosphärisch geschlossener.

Auf der Concert-Plattform von arte.tv ist die Aufzeichnung noch bis Anfang Mai nächsten Jahres abrufbar. Ich habe sie live verfolgt und genossen, dass die Pause einfach nur Pause sein durfte und nicht mit dem Geplauder zwangsbegeisterter Moderatorinnen überbrückt werden musste. Diese Muße passte zu der unbeschwerten Entschiedenheit des musikalischen Geschehens. Mir kam der Gedanke, der lebhaft harmonische Austausch zwischen Dirigent und Musikern sei nicht nur eine Frage der Temperamente, sondern einer ursprünglichen Gemeinsamkeit: Filmkomponisten wie Orchestermitglieder stellen sich in den Dienst. Ich glaube, Letztere mögen Filmmusik-Abende auch deshalb gern, weil ihnen häufiger applaudiert wird: nicht erst am Ende eines Stückes, sondern gleich nach jedem Satz. Während der Pause fielen mir zwei Varianten für eine Überschrift ein: „Vertrauter fremder Klang“ bzw. etwas koketter: „Fremder, vertrauter Klang“. Er entsteht nicht etwa durch den Einsatz exotischer Instrumente. Einzig während der „Prinzessin Mononoke“-Suite entdeckte ich ein unbekanntes, ziemlich stattliches Perkussionsinstrument.

Für mich war das Konzert schlicht auch eine Gelegenheit, Zeit in Hisaishis Klangwelt zu verbringen. Die Preise, die für seine Alben verlangt werden, waren mir immer zu japanisch. Natürlich habe ich auf DVD zahlreiche Filme, die er vertont hat, darunter seine Interpretation von Keatons „Der General“. Aber seine Musik funktioniert eben auch ohne die Bilder hervorragend. Ihren hellen Wohlklang kann man jeden Tag vertragen. Sie hat alle Vorzüge der Naivität und keinen ihrer Nachteile. Das liegt zum Teil an ihren Wurzeln im Minimalismus von Philip Glass und Steve Reich, wenngleich dieser natürlich viel viel üppiger ist als zuletzt bei John Cale &Lou Reed. Zugleich meine ich, Anklänge von Debussy und Satie heraus zu hören. Die Melodienführung und Instrumentierung sind klar. Dabei akzentuieren seine Partituren oft das Wundersame. Man übersieht leicht, dass er nicht nur für das Studio Ghibli und das Office Kitano gearbeitet hat, sondern beispielsweise auch mit Wong kar-wai und Yoji Yamada. Mehr als 100 Titel umfasst seine Filmografie, da muss er Vielseitigkeit bewiesen. Dennoch ist das Luftige und Schwebende der Melodien ein unverkennbares Markenzeichen. Nimmt es da wunder, dass ist seine Musik mit dem Sommer assoziiere? Sie steckt voller Zuversicht und Vorfreude, ist ein Klang gewordenes Aufblühen. Gerade jetzt im Moment ergeht mir das so, wo ich im Garten sitze, der sich von Tag zu Tag zu verwandeln scheint.

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