Ein Stil, der knirscht
Die „Blaue Marilyn“ von Andy Warhol, die in dieser Woche für eine Rekordsumme bei Christie`s versteigert wurde, ist eine Überlebende. 1964 betrat eine Aktionskünstlerin namens Dorothy Podber Warhols Factory. Sie war mit einer kleinen Pistole bewaffnet und schoss auf einen Stapel von vier Marilyn-Porträts. Die Kugel blieb in einer der oberen drei stecken. Der vollständige Titel des Siebdrucks „Shot Sage Blue Marilyn“ erzählt von dieser sehr amerikanischen Spielart der Kunstkritik.
Die Geschichte muss sich nicht so zugetragen haben, aber stimmen wird sie allemal. Es gab zahlreiche Augenzeugen – Warhols Hofstaat war groß - und es existieren dementsprechend mehrere Version von ihr. Das juristisch folgenlose Happening sollte Podbers einziger shot at fame bleiben. Verzeihen Sie, an diesem Wortspiel kam ich einfach nicht vorbei, zumal ich vermute, dass ihr Ziel weniger das Kunstwerk, als vielmehr eine bestimmte Idee von Berühmtheit war, die Warhol kultivierte. Sie war ebenso demokratisch wie aristokratisch: Am stärksten profitierte er selbst davon. Dieser Tage geriet ich beim Zappen in „Tootsie“ hinein und war beim Wiedersehen verblüfft, dass er dort bei einem Fototermin mit „Dorothy“ (Dustin Hoffman) in Erscheinung tritt.
Bekanntlich war es nicht das letzte Attentat, das auf Warhol verübt wurde. Seine Person stellte mithin eine immense Provokation dar. Aus heutiger Sicht zumindest ist es schwer vorstellbar, dass sie allein von seiner Kunst ausging: sie ist allgegenwärtig konsumierbare Avantgarde, die inzwischen stolzer Mainstream geworden ist. Andererseits ist es natürlich Unfug, beides von einander zu trennen; sein Ruhm und Nachruhm sind ein Geniestreich der Verkörperung. Das ist in der Dokumentation „The Andy Warhol Diaries“ zu merken, die vor zwei Monaten auf Netflix Furore machte. Tatsächlich ist es ein Mehrteiler, was heutzutage zur Konvention geworden ist, aber eben auch zur seriellen Form passt, die er – siehe Marilyn – bevorzugte. Dass ihm auch in einem kürzeren Format gerecht werden kann, demonstriert der Film, auf den ich Sie heute hinweisen möchte: „Songs for Drella“ von Ed Lachman, der gerade auf Mubi zu sehen ist. Er ist ein Solitär, nur 54 Minuten lang, unwillentlich auch ein Korrektiv zu den "Diaries", denn seine Protagonisten beharren darauf, dass Warhols Tagebücher nicht sein Epitaph sein dürfen.Während unserer professionellen Begegnungen (siehe „Wer sagt denn, das Anschlüsse immer stimmen müssen?“ vom 5.3. 2015) hatte Ed häufig über den Konzertfilm von 1990 gesprochen, aber er galt als verschollen. Erst bei der Arbeit an Todd Haynes' Dokumentation über „The Velvet Underground“ war er wieder auf die Originalnegative gestoßen, die er umgehend restaurieren ließ. Im vergangenen Herbst hatte ein Freund „Songs for Drella“ auf der Viennale gesehen und schwärmte seither davon. Lou Reed erwähnte er mit keinem Wort, sondern pries immer nur John Cales virtuoses Spiel auf der Viola. Ich fürchte, das Konzert verführt, Partei für einen von ihnen zu ergreifen.
Die Zwei hatten sich während der kurzen, großen Zeit der „Velvet Underground“ Ende der 1960er ja gründlich zerstritten. Erst bei der Trauerfeier für Warhol begegneten sie sich wieder und kamen auf die Idee für ein Konzeptalbum als Hommage an ihren ehemaligen Mentor und Freund. Von einer Versöhnung mag man nicht sprechen, sie werden allenfalls einen Burgfrieden geschlossen haben. Ed war stets diskret, wenn er von den Dreharbeiten in der „Brooklyn Academy of Music“ erzählte. Aber ich glaube, die Atmosphäre wird eisig gewesen sein. Der Film spiegelt dies schonungslos wider. Reed wirkt wie versteinert, er scheint sich hinter den Keyboards oder der Gitarre zu verstecken. Cale wirft ihm eingangs ein sachtes Lächeln zu, das er beinahe erwidert. Mit der ersten Totalen, die sie zusammen auf der Bühne zeigt, wartet der Film eine geschlagene Viertelstunde. Einmal gibt es einen Reißschwenk vom einen zum anderen, später auch mal eine Bildachse, in der sie einander anblicken (könnten). Es ist das Zusammenspiel zweier Solisten, deren Instrumente in Dialog treten, aber nie ihre Gesichter.
Das stoische Auftreten der Zwei harmoniert mit dem Minimalismus der Musik. Diese veraltet nicht, der chromatischen Reduktion und dem Sprechgesang eignet eine Zeitlosigkeit, die in metallischer Frische in die Gegenwart hineintritt. Ed Lachmans Film ist selbst wunderbar minimalistisch, begibt sich nicht ins Schlepptau der Musik – repetitiv ist die Montage mitnichten -, sondern findet einen visuellen Einklang mit ihr. Die Songs erhalten ihre je eigene Stimmung durch den Einsatz verschiedener Farbfilter oder den Wechsel zum Schwarzweiß sowie durch die Einbeziehung der Videoprojektionen über bzw. zwischen den Musikern. So entsteht der Eindruck einer enormen Intimität. Im Kern schaut man zwei verschiedenen Arten von Konzentration und Versunkenheit zu.
Vor den Beginn des Films hat Mubi eine kuriose Warnung gestellt: „contains strobe lights“. Was sonst würde man bei einem Konzert aus dieser Zeit erwarten, wenn nicht Stroboskoplicht? Ich frage mich, wie die es mit Publikum gewirkt hätte. Ob die Zwei nicht doch Gemeinsamkeit demonstriert, am Ende nebeneinander den Applaus entgegen genommen hätten? Auf jeden Fall wäre eine andere Art von Kommunikation entstanden. Ed hat wohlweislich darauf verzichtet; womöglich auf Geheiß der Unversöhnten, die seinen Film mitproduziert haben. So schlägt „Songs for Drella“ seine Zuschauerinnen und Zuschauer in einen ganz eigenen, einzigartigen Bann der Vertraulichkeit.
Was mich so stark berührt an diesem Projekt, ist sein Aspekt der Überlieferung. Cale, Reed und Lachman machen im Grunde genau das, was Agnès Varda fast zur selben Zeit in „Jacquot de Nantes“ unternahm: Sie erzählen die Autobiographie eines anderen. Der Songzyklus folgt der Chronologie von Warhols Leben und Sterben, berichtet vom Werden eines Künstlers und der Jünger, die er um sich geschart hat. Die Form dieser Erzählung ist stilistisch vielgestaltig, meist ein jedoch Gedankenstrom. Der Sprechgesang spielt dem zu. Die Texte sind unmittelbar lesbar, da ist nichts verschlüsselt, allenfalls mal poetisch, ein Zeugnis, dem stets an Deutbarkeit und Selbstreflexion gelegen ist. Einer dieser wunderbaren Selbstbezichtigungen verdankt dieser Eintrag seinen Titel. Die Interpreten sind selbst in diese Erzählung verstrickt. „John Cale came to the office today, looked great“ heißt es einmal, bereits in einem Stadium unwiderruflicher Entfremdung, und gleich darauf: „I hate Lou Reed“. In diesen Momenten findet die Kamera jene Blickachse, von der ich zuvor sprach. Das „Ich“ ihrer Erzählung wechselt zum Ende, da ergreifen die Zwei ihr eigenes Wort, singen von postumem Bedauern und Vorwürfen: eine Abrechnung aus Liebe, das Klagelied zweier Angehöriger, ein Abschied, der 1990 nicht enden will, aber es heute darf.
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