Die Nostalgie, die uns täuschte
Es ist sein freier Tag. Viel lieber würde Divisionskommandeur Kotow ihn mit seiner schönen Frau verbringen. Tatsächlich lernen wir ihn als Bonivant und Charmeur kennen, der seinen Schnurrbart erwartungsvoll zwirbelt. Aber es kommt anders. Er muss einem absurden Schauspiel ein Ende setzen: Die eigenen Panzer drohen, die Ernte zu vernichten.
Ein Weizenfeld haben sie schon überrollt, nun stellen sie sich vor den anderen in Formation auf. Die Landarbeiter protestieren: Das ist der Weizen des Volkes! Kotow kommt gerade rechtzeitig, um das Schlimmste zu verhindern. Er nahm sich nicht einmal die Zeit, sein Pferd zu satteln und seinen Oberkörper zu bekleiden. Obwohl ihm sein hoher Rang nicht anzusehen ist, gibt der Reiter eine ehrfurchtgebietende Figur ab. Die Sowjetarmisten schüchtert er augenblicklich ein. Die Luftunterstützung der Strafaktion kann im letzten Moment zurückbeordert werden. Begeistert blickt Kotow ihnen nach. Wie schön unsere Flugzeuge sind!
In »Die Sonne, die uns täuscht« setzt Nikita Michalkow sich 1994 als schneidiges, nonchalantes Mannsbild in Szene. Erst einmal also ein Sympathieträger, der die militärischen Hierarchien souverän übertölpelt, ein Hasardeur, der ganz nach dem eigenen Gusto handelt. Das kann so nicht bleiben im Sommer 1936. Aber davon weiß der Anfang des Films noch nichts. Prophetisch ist der Auftakt dennoch. Michalkow gibt sich als ein unbestechlich viriler Narziss zu erkennen. Nicht nur das hat er mit seinem späteren Präsidenten gemeinsam, der es allerdings vorzieht, mit Sattel zu reiten.
An diesem Wochenende, als das gerade unterzeichnete Abkommen über freie Weizentransporte aus der Ukraine von Russland bereits am nächsten Tag wieder sabotiert wurde, musste ich unweigerlich an Michalkows Oscar- und Cannes-Gewinner denken. Inzwischen ist der Regisseur Filmzar von Wladimir Putins Gnaden und ich sehe seinen Film anders. Ich wollte schon lange einen Eintrag schreiben über das, was ich irrtümlicherweise als Michalkows Schweigen zum Ukrainekrieg wahrnahm. Man hörte und las im Westen so wenig von ihm. Dabei war doch unbedingt anzunehmen, dass dieser Kostgänger des Kremls eine eminente, lautstarke Rolle in dessen Propagandamaschine spielen würde. Eine erste Recherche brachte nur Äußerungen zur Annektion der Krim heraus. Ich fragte KollegInnen, die sich gut in Russland auskennen. Meine Mails blieben unbeantwortet. Vermutlich war ihnen das Thema zu unerfreulich, was ich verstehen konnte. Stefan Scholl berichtete dieser Tage in der "Frankfurter Rundschau", Michalkow würde im Staatsfernsehen von Gräueltaten ukrainischer Soldaten berichten, die Kriegsgefangenen angeblich Hände und Hoden abhackten. Im Netz stieß ich dann rasch auf eine "Sondersendung" - anscheinend hat er sein eigenes TV-Format -, zu der ein deutschsprachiges Voice-over existiert. Suchen Sie selbst, wenn es Sie interessiert; man muss nicht alles verlinken. Der halbstündige Beitrag werde ausgestrahlt, erklärt Michalkow, da "wir um unsere Meinung gebeten wurden". Er gibt sich als Aufklärer und rekapituliert in heimischem Ambiente (noch immer schnurrbärtig, aber nun in Strickjacke, vor Ikonen sitzend; nach Filmpreisen hab' ich nicht Ausschau gehalten) flugs die postsowjetische Geschichte der Ukraine.
Für ihn ist es die Chronik eines perfiden Verrats. Seit 1991 würden Rekruten darauf eingeschworen, Moskau auszulöschen. Inzwischen seien bereits zwei Generationen von Russlandhassern herangezogen worden; er unterstellt eine atomare Bedrohung. Die Sendung erfüllte alle meine Erwartungen an demagogischen Furor (Neofaschisten in der Mitte Europas! Massaker an Zivilisten im Donbass, vor allem an Kindern! Wohltaten russischer Einsatztruppen in der Krim und anderswo!) und übertrafen sie noch (auch die ukrainische Feindseligkeit gegenüber Polen führte zu blutigen Ausschreitungen). Er bemüht Slobodan Milosevic als Kronzeugen und verweist auf eine Bundestagsrede des AfD-Abgeordneten Petr Bystron, die man freilich nicht hört. Das Tempo, das Michalkow vorlegt, ist einfach zu zackig, als dass es sich bei Details aufhalten könnte: ein Sog der Einflüsterungen. Er hat eine neue Berufung gefunden.
Wann gab es die ersten Warnzeichen, dass es so mit Michalkow kommen würde? Ich sah sie nicht, weil ich in diesem Jahrtausend den Geschmack für ihn verlor. Er drehte Fortsetzungen bzw. Revisionen von »Die Sonne, die uns täuscht« und übernahm sich mit »Der Barbier von Sibirien«; sein Remake von »Die 12 Geschworenen« soll jedoch bemerkenswert sein. Ob er selbst noch bei der Sache war? Ein Regisseur, der ein Duftwasser herausbringt, das nach seinem Schnurrbart riecht, läuft Gefahr, sich zu zerstreuen. Er fand Geschmack an der Macht und sein Ehrgeiz andere Ziele (siehe "Die Witterung als Bündnispartner" vom 23. 4. 2015) und er Geschmack an der Macht . Bereits 2007 rief er Putin auf, die Verfassung zu brechen und für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. 2014 reiste er zu einer Filmpremiere in der annektierten Krim auf und demonstrierte, dass er die präsidiale Nostalgie nach dem Zarenreich teilte.
Vielleicht war es die Melancholie, die mich damals täuschte. Seine Filme, zumindest jene, die ich genauer in Erinnerung hatte, sehnten sich so leidenschaftlich aus der Sowjetunion hinaus. Sie träumten so entschieden von Europa. In »Gespräch ohne Zeugen« wird unablässig von Debussy geschwärmt. »Schwarze Augen« mutet so exquisit an wie eine Tschechow-Verfilmung, die Visconti nie gedreht hat (auch dank seiner Darsteller, Marcello und Silvana Mangano, sowie der Szenenbilder von Mario Garbuglia). Michalkow hatte einen ebenso präzis schwelgenden Blick für den Überfluss des Lebens, für das Erlesene. Auch in „Die Sonne, die uns täuscht“ herrscht eine feudale Atmosphäre. Sie steht im Zeichen einer unziemlichen Nostalgie, fällt aus der Zeit - nicht nur dem Sommer 1936, als sich längst die Angst vor Stalins Großem Terror breit macht, sondern insgesamt aus der Epoche. Das Gestern scheint stets unbeschwerter, glanzvoller bei Michalkow, bis er seine Trugbilder entlarvt.
Damals sah ich einen argwöhnischen Romantiker in ihm, beim Wiedersehen entdeckte ich den feisten Satiriker. Er greift an, spottet, nimmt sich enorme postsowjetische Freiheiten. Kotow posiert neben einem Stalin-Porträt, er hat dessen direkte Durchwahlnummer; großspurig Schnurrbärtige verstehen einander. Die KGB-Leute, die vor der Datscha auf ihn warten, wirken wie Gangster in einem Hollywoodfilm. Alles ist in Unernst getaucht und deshalb nur bedingt belastbar: drapiert mit einer Ambivalenz, die sich für jedewede Zukunft eine Tür offen hält.
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