Diaspora

Vor ein paar Wochen war ein befreundetes Paar aus Wien zu Besuch. Gemeinsam wollten wir im Arsenal einen Film aus der Ellen-Richter-Reihe anschauen und anschließend essen gehen. Da standen wir vor einem Problem. 

Weil wir drei es schmackhaft und gemütlich mögen, schied das gastronomische Angebot am Potsdamer Platz aus. Indes, eine Alternative war rasch erwogen und mit dem Öffentlich Nahverkehr bald erreicht. Das war immer ein unbestreitbarer Vorteil des Potsdamer Platzes: Man ist schnell anderswo. Seit 22 Jahren bildet er für Filmbegeisterte sowohl ein Zentrum wie einen umgekehrten Fluchtpunkt. Seine Vorzüge waren vor allem, aber nicht ausschließlich praktischer Natur. Das Genie dieses Ortes bestand in der Kürze der Wege. Die meisten Berlinale-Kinos lagen nah beieinander und die Straßen taugten als Grußmeile. Unter dem Dach des Filmhauses waren das Arsenal, das Filmmuseum und die DFFB untergebracht. Die Fahrstühle kamen selten auf Kommando, aber gestatteten manchmal unverhoffte Begegnungen.

Im Niemandsland wird man nicht heimisch. Aber es war nicht nur möglich, sich an die Unwirtlichkeit zu gewöhnen. Man konnte sich mit ihr einrichten. Die Architektur leistete jedoch machtvollen Widerstand. Helmut Jahn, der das Filmhaus entworfen hatte, ließ sich in seinem Vertrag zusichern, dass nichts im Innern verändert werden durfte. Von Verweilqualitäten stand kein Wort in dem Papier. Beleben ließ das Haus sich dennoch: durch das anspruchsvolle, oft auch attraktive Programm des Arsenal und durch die Ausstellungen des Filmmuseums. Beiden Institutionen wuchs mit dem Umzug dorthin eine neue Größendimension zu. Theoretisch konnten sie auch von einer Laufkundschaft profitieren, die sie zuvor nicht hatten. Im Sommer musste man nur den Touristen lauschen um zu erfahren, in welchem Land gerade Feien waren. Im August hörte man vermehrt Italienisch.

Mit dem Umzug von Berlinale & Co rückte das Kino auch in die Nähe der traditionellen Künste, die in der Philharmonie, der Nationalgalerie und dem Martin-Gropius-Bau einen angestammten Platz hatten. Im Prinzip war das eine gedeihliche Nachbarschaft. Der Kommerz musste nicht das letzte Wort haben. Hatte er ja auch nicht, wenn man an die verheerenden Abwanderungen der letzten Jahre denkt. An die Leerstände in den Büroetagen war man von Anfang an gewöhnt; sie boten zudem nützliche Ausweichquartiere für die Berlinale. Ein entscheidenderes Problem war natürlich, dass hier niemand wohnte. Vom Filmhaus, zumal von dessen Dachterrasse aus konnte man in die wenigen Privatquartiere schauen, die es gab. Beneiden mochte man niemanden um diese Adresse. Der Freund einer Bekannten hatte im Sony Center eine Dienstwohnung, die seine Firma sich anfangs aus Prestigegründen leistete. Er fühlte sich wie in einem Aquarium und zog alsbald in die Stadtmitte ab.

Hegte überhaupt je irgendein Stadtplaner die Illusion, hier ließe sich ein neuer Mythos begründen? Der alte lag anfangs achtzig, nun 100 Jahre zurück, und er war nie mehr als eine Briefkastenadresse. Der neue Potsdamer Platz deckte seine Geschichte zu. Die Rekonstruktion der historischen Straßenführung vertrug sich partout nicht mit der nun aufragenden Architektur. Was derweil in der Friedrichstraße geschah, hätte als urbanistisches Menetekel dienen müssen. Dort entdeckte man zu spät, dass 85 % Gewerbe- und 15 % Wohnraum die falsche Mischung waren. Damit so etwas wie Kiez entsteht, muss das Verhältnis genau umgekehrt sein.

Das lustvolle Hadern mit diesem Ort musste man also nie ganz abschütteln. Die praktischen Vorteile, die er bot, konnte man bequem nutzen. Vielleicht fragen Sie sich, warum ich das Alles in der Vergangenheitsform geschrieben habe? Faktisch betrachtet, ist das natürlich voreilig. Atmosphärisch freilich nicht. Gewiss werden Sie gelesen haben, dass die Tage dieses Zentrums der Cinéphilie gezählt sind. Die Mietverträge im Filmhaus laufen im Jahr 2025 aus; die Büros der Berlinale haben noch zwei Jahre länger Bleiberecht. Die Gemengelage ist ziemlich unübersichtlich. In der "Welt" hat Hanns-Georg Rodek gerade versucht, sie ein wenig aufzudröseln. Er beklagt die Zerschlagung eines weltweit einzigartigen Filmclusters. In das Entstehen eines neuen Filmhauses auf dem jetzigen Parkplatz des Martin-Gropius-Baus mag er vorerst wenig Hoffnung setzen. Bis dahin werden die Institutionen jedenfalls in alle Himmelsrichtungen verstreut werden. Vom "Arsenal" ist bekannt, dass es im Silent Green im Wedding unterkommen soll. Einem Gerückt zufolge soll das auch für das Filmmuseum gelten. Da ist man im BKM womöglich nur einer Verwechslung von "Deutsche Kinemathek" und "Freunde der Deutschen Kinemathek" aufgesessen. Der Umzug des Arsenal in den nicht eben zentralen Stadtteil im Norden ist ein Wagnis, zumal ein ökonomisches. Gut möglich, dass die Gegend um das ehemalige Krematorium dadurch zusätzlich belebt wird. Ein kurzer Weg ist das nicht fürs Publikum.  

Die Zwischenlösungen für die anderen Institutionen werden enorme Kräfte und Mittel binden. Wie wird man sich da neu sortieren, ohne an Attraktivität zu verlieren? In Zeiten, in denen der Lockruf des Kinos immer leiser zu werden scheint, sind das denkbar schlecht Aussichten. Wie wird der bisherige Standort übrigens den Verlust verwunden? Erst einmal müssen sich Nachfolger finden, die die höheren Mieten zahlen können. Da braucht es zudem Eignung und Phantasie, um diese besondere Immobilie zu bespielen. Mit Leerstand ist niemandem gedient. Aber das Herz des Platzes lässt sich nicht ersetzen. Ich sehne mich jetzt schon nach dem Niemandsland zurück. Es war so praktisch. Und das Hadern machte Spaß.

 

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