Charlottenburger Nostalgie

Natürlich wusste ich, auf welcher Höhe der Kantsraße das Kino liegt. Aber von meinem Busfenster aus konnte ich es partout nicht entdecken. Seine Fassade verbirgt sich derzeit hinter einem Baugerüst. Die Renovierung des großen Saals jedoch ist abgeschlossen. Das Kant 1 ist für die Zukunft gerüstet. Nun sieht es wieder aus wie 1956.

Gestern Nachmittag konnte man den Saal erstmals besichtigen. Die neue Bestuhlung im Parkett ist fast so gemütlich wie die Sessel im Rang. Mithin blieb ich bei der Trailer-Show eine Weile sitzen. Die Bespannung der Wände hatte ich zuvor schon ertastet, den neuen, gewiss prachtvollen Vorhang hingegen konnte ich im Dunkel nicht sehen. Als der Hauptfilm gestartet wurde, merkte ich, dass es Zeit war zu gehen. Während des Vorspanns wurde mir klar, dass ich nicht in der richtigen Stimmung für »Der Nachname« war.

Der Saal steht unter Denkmalschutz und gehört zu den ältesten in Berlin. Eigentlich muss man von einer Restaurierung sprechen. Einerseits sollte die Anmutung wiederhergestellt werden, die er nach seinem Umbau im Mitte der 1950er hatte. Zudem wurden während der Arbeiten noch Reste der Erstausstattung von 1912 gefunden und integriert. Der Großteil der Charlottenburger Kinos wurde entweder kurz vor dem Ersten Weltkrieg oder bald nach Ende des Zweiten (der Zoopalast von 1957 ist ein Spätlicht) eröffnet. Die meisten von ihnen sind längst verschwunden. An einige habe ich noch rege Erinnerungen, etwa an den Royal Palast (»Lawrence von Arabien« in 70mm!) oder das Studio am Adenauerplatz, wo ich zum ersten Mal »Der Texaner« von Clint Eastwood im richtigen Format sah und entdeckte, dass das ein ganz anderer Film war als auf VHS. Es mag ehrenrührig sein, aber im legendären Schlüter war ich nie.

Die zwei Lupe-Kinos, die Kurbel, das Gloria, Olympia und Hollywood hingegen besuchte ich schon während meiner Studienzeit. Später fanden dort auch regelmäßig Pressevorführungen statt. Unvergesslich, wie der Leiter der Kurbel jedes Mal verkündete: "Das Lichtspiel beginnt in zwei Minuten!". Von der Filmbühne am Steinplatz ist nur noch das Café übrig, in dem es damals sehr dünnen Kaffee gab. Das alte Astor liebte ich, weil dort die Retrospektiven der Berlinale liefen. Die großen Kudamm-Kinos lockten mich selten. Das Programm im Marmorhaus war fad, in der Filmbühne Wien war ich nur einmal. Ein paar Kinos haben sich wacker in Charlottenburg gehalten. Sie gehören fast alle zur Yorck-Gruppe, mit Ausnahme vom Zoopalast, der Astor Film Lounge und dem Filmkunst 66, wo es in den späten 1980er Jahren so roch, als würde eine Tierfutterhandlung es tagsüber als Lager nutzen. 

Der erste Film, den im Kant 1 sah, war »Jules und Jim«, der Anfang der 80er als Wiederaufführung lief. Vom Saal selbst sah ich wenig, da die Schlange so lang war, dass ich erst zum Ende des Vorprogramms hineinkam. In der Dunkelheit fühlte er sich ziemlich heruntergekommen an. Der ehemalige Schulfreund, der mich mitnahm, sprach indes voller Ehrfurcht von ihm. Hier hatten in den 1970ern AC/DC, David Bowie, Nick Cave und andere Konzerte gegeben. Andreas war zwar erst ein, zwei Jahre vor mir nach Berlin gekommen, aber er beschwor diese heroische Epoche, als sei er selbst dabei gewesen. Er besaß eine natürliche Autorität, die anzuzweifeln mir erst Jahre später in den Sinn kam.

»Jules und Jim« war natürlich ein guter Einstieg, legte die Messlatte aber auch ziemlich hoch an. In den Folgejahren, als meine Studienfreunde und ich den Ehrgeiz hatten, mindestens vier Filme pro Tag zu sehen, machten wir auch vor Sachen wie »Beim nächsten Mann wird alles besser« nicht halt. Wir saßen im Rang und schimpften vergnügt über den Film. In den neuen Sesseln würden wir uns das wohl nicht mehr trauen. Andererseits schürten die ersten Minuten des gestrigen Hauptfilms meinen Verdacht, dass die deutsche Filmkomödie seither keine grundsätzlichen Fortschritte gemacht hat.

Ob das Konzept verfängt, das Publikum mit der dekorativen Beschwörung des alten, prunkenden Kinoerlebnisses zurückzugewinnen, wird sich zeigen. Dass eine nostalgische Auffrischung des Ambientes attraktiv sein kann, führt die Astor Film Lounge am Kudamm vor. Seit der Renovierung geht ein sachtes Flair von Eleganz und Luxus durch den Saal. Ich bin gespannt, wie das Upgrade des Kant 1 angenommen wird. Manchmal wünscht man sich vielleicht die Zeit zurück, in der man Kinos noch Filmtheater nannte.

 

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