Weniger Sterne als am Himmel
Wenn man die große Mediennachricht dieser Woche – sie war sogar der Tagesschau eine Erwähnung wert - genauer betrachtet, ist sie, wenngleich keine Falschmeldung, aber doch eine Mogelpackung. Amazon hat zwar MGM gekauft, aber United Artists bekommen.
Jeff Bezos wird das klar gewesen sein. Der Versandhändler aus Seattle bekam für seine 8,45 Milliarden Dollar, die er sich den prestigeträchtigen Namen kosten ließ, genau das, was er wollte. Gewiss, nach Ansicht der meisten Analysten waren das rund drei Milliarden zu viel. Aber auch das gehört zweifellos zu Bezos' Kalkül. Die Botschaft ist jedenfalls unmissverständlich: Netflix mag momentan noch der Platzhirsch unter den Streaminganbietern sein, aber ich habe die tieferen Taschen. Amazon Prime ist mit dem Kauf bestens für die Aufholjagd um Abonnenten gerüstet.
Zu dem Pfund, mit dem er fortan wuchern kann, zählen illustre Titel, darunter »Das Schweigen der Lämmer«, »Die glorreichen Sieben«, »Robocop«, »Thomas Crown ist nicht zu fassen«, »Wie ein wilder Stier« die Hobbit-Trilogie sowie die »Rocky«-, »Legally Blonde«- und »Pink Panther«- Franchises. Ausschlaggebend war natürlich vor allem, dass der MGM-Löwe auch im Vorspann der Bond-Filme brüllt, an denen das Studio aber nur die Hälfte der Rechte besitzt. Die Broccoli-Familie wird darauf beharren, dass »Keine Zeit zu sterben« im Kino und nicht im auf einer Plattform startet. Wie es Daniel Craigs Nachfolger ergeht, muss sich zeigen. Fast allen oben genannten Titeln ist gemeinsam, dass sie ursprünglich von United Artists (bzw. deren Nachfolger Orion) produziert wurden und durch spätere Deals und Fusionen an das Studio fielen. Die Rechte an eigenen Titeln, die vor 1986 produziert wurden, hält MGM jedoch nicht mehr. Mithin hat Amazon eben nicht das Erbe von 97 Jahren Filmgeschichte erworben, wie ein Sprecher des Unternehmens stolz verkündete. Der Löwenanteil der Rechte gehört der Konkurrenz, derzeit AT&T respektive Warner Bros. Die Schatztruhe ist also nicht ganz so prall gefüllt, wie die ersten Verlautbarungen der handelseinigen Partner vermuten ließen. Wie sie auf die Zahl von 4000 Filmtiteln kommen, ist mir momentan noch schleierhaft.
1986 erwarb CNN-Gründer Ted Turner den MGM-Katalog für genau sieben Milliarden Dollar weniger, um seinen neuen Bezahlsender TCM (Turner Classic Movies) attraktiv bestücken zu können. Aber selbst mit diesen 1,45 Milliarden hatte er sich übernommen, weshalb er dem Verkäufer Kirk Kerkorian die Rechte an zukünftigen Produktionen zurückgab, um sich nicht weiter zu verschulden (das waren noch andere Zeiten damals, auch für Milliardäre). Das bedeutete beispielsweise konkret, dass Turner »Victor, Victoria« und »Platoon« noch zeigen konnte, aber »Mondsüchtig« schon nicht mehr. (Über den sagenhaften Kerkorian erfahren Sie mehr im Eintrag "Schwieriges Vermächtnis" vom 12.8. 2017.) Seinerzeit hatte der Name noch einen anderen, nostalgischeren Klang: Metro Goldwyn Mayer war das größte Studio in Hollywoods vermeintlich Goldenem Zeitalter, eine prägnante Marke an Kinokassen und bei Oscar-Verleihungen. Mit Greta Garbo, Clark Gable, Judy Garland, Gene Kelly und vielen anderen besaß es "more stars than are in heaven"; die Tarzan- und Andy Hardy-Serien waren Gelddruckmaschinen. Übrigens erwarb auch die ARD (genauer: federführend der WDR) in dieser Zeit ein enormes MGM-Paket zu einem sensationell günstigen Preis. So hat die Tagesschau-Meldung einen unfreiwillig sentimentalen Beiklang: Seinerzeit hatten die öffentlich-rechtlichen Sender noch keine Angst, Schwarzweißfilme auszustrahlen.
Als Konsequenz des epochalen Kerkorian-Turner-Deals steckt weniger MGM in dem Katalog, als draufsteht. Amazon besitzt nicht die Rechte an »Ninotschka«, »Ein Amerikaner in Paris«, »Doktor Schiwago« oder auch »Shaft«, dafür an »Heaven's Gate«; ihnen gehört das erbarmungswürdige Remake von »Ben-Hur«, aber nicht das Original. Die Sorge hiesiger Feuilletonisten, die großen Klassiker des Studios würden nun im Nirvana eines Streaming-Angebotes verschwinden, sind natürlich nicht unbegründet, aber an die falsch Adresse gerichtet. Im Gegensatz zu ihnen werden Bezos' Anwälte das Kleingedruckte genau gelesen haben. Dem Paketlieferanten ist ein riesiger Korpus an Filmgeschichte entgangen. Dafür geraten die Algorithmen nicht in die Verlegenheit, auf einen alten Schwarzweißfilm zu stoßen.
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