Luxus macht erfinderisch

Um in diesen Tagen in Paris ein Hotel oder ein Kino zu eröffnen, braucht es Mut und die Gabe, antizyklisch zu denken. Erst recht, wenn man beides tut. Das "Hotel Paradiso", das gerade auf dem Boulevard Diderot im 12. Arrondissement seine Türen geöffnet hat, stößt in eine Marktlücke, von der bisher niemand ahnte, dass sie klafft.

Es ist das erste "Cinéma Hotel" weltweit. Berliner werden jetzt einwenden, dass es am Ku'damm bereits ein Filmhotel gibt, das von Artur Brauner lancierte "Hollywood Media Hotel", dekoriert mit Memorabilia aus dem Fundus des Produzenten. Aber das "Paradiso" ist eben kein Themenhotel, sondern Herberge und Filmtheater in einem. Genauer: mehrere Arten Filmtheater. Das Ganze ist etwas verwirrend, wie so häufig bei unverhofften Innovationen. Halten wir erst einmal fest, dass es über einem Kino liegt, dem "MK2 Nation", das über sechs Säle verfügt. Sobald die französischen Kinos wieder öffnen, erhalten Hotelgäste (einen) freien Eintritt; auch eine exklusive Loge kann man darin mieten. Beides ist eher ein Bonus dieses Konzepts. Die eigentliche Attraktion sind die Zimmer. Jedes der 34 verfügt über einen Bildschirm, ein Tablet etc., in einigen kann man auch in der Badewanne Filme sehen. Zwei Luxussuiten sind mit eigenem Vorführraum ausgestattet, dessen Projektion dem Standard der MK2-Kinos projiziert entspricht. Auf der momentan nicht geöffneten Dachterrasse wird zudem eine riesige Leinwand errichtet.

Filme in Hotels sehen kann jeder Geschäftsreisende (wenngleich nicht unbedingt auf einem Bildschirm, der größer ist als das Bett), wodurch zeichnet sich dieses also aus? Neben der High-Tech-Ausstattung wohl vor allem durch seine Haltung. Der Schaulust sind keine Grenzen gesetzt. Ihr ist nicht zu entkommen. ZU sehen wird es vermutlich hauseigene Filme. Die MK2-Gruppe, benannt nach ihrem Gründer Marin Karmitz, ist einer der größten Rechteinhaber Frankreichs. Ihr Portfolio reicht von Chaplin bis Truffaut, sie wertet einen Großteil der Nouvelle Vague aus; Marin hat später Filme von Chabrol, Godard, Kieslowski und vielen, vielen anderen produziert. Die DVD-Bibliothek des Hotels umfasst 2000 Titel, aber damit wird das Angebot nicht erschöpft sein. Hier, das verspricht die Website (www.mk2hotelparadiso.com), entscheidet kein Algorithmus, was man sehen will.

Obwohl man das "Hotel Paradiso" auch als Stundenhotel buchen kann (für eine Vorführung), verdankt es seinen Namen nicht der Feydeau-Verfilmung, in der sich Alec Guiness und Gino Lollobrigida ein außereheliches Stelldichein geben. Den Ausschlag gab vielmehr "Cinema Paradiso" von Giuseppe Tornatore, ein Lieblingsfilm von Marins Sohn Nathanael, dessen cinephiles Erweckungserlebnis. Damit ist schon mal eine Zielgruppe umrissen. Die Kinoliebe soll in diesem Haus ein Gesamterlebnis sein. Die Neon-Installation von Christian Boltanski im Kino "Cinéma-vie-art" beschwört Lebensart. Weitere Kunstwerke stammen u.a. von JR, Agnès Vardas Co-Regisseur bei „»Augenblicke - Gesichter einer Reise«. Der Zutritt zu diesem Paradies ist durchaus niederschwellig. Für Pariser Verhältnisse sind die Zimmerpreise nicht exorbitant. Auch bei Genuss des Room Service muss man sich nicht ruinieren. Es gibt leichte, tendenziell vegetarische Kost. Das Weinangebot besteht aus heimischen Klassikern und wird ergänzt durch zwei „Directors Cut“ von Francis Ford Coppola, eine Cuvée sowie einen Chardonnay.

Das "Hotel Paradiso" dürfte momentan einen willkommenen Tapetenwechsel für Pariser bieten, die ihre coronabedingte Heimkinodiät leid sind. Eine Kollegin, der ich davon erzählte, war ganz begeistert: So könne man Filme ja wirklich lustvoll konzentriert schauen. Hier zu Lande muss man noch auf niedrigere Inzidenzzahlen hoffen. Das Hotel richtet sich zugleich an die Branche. Es will nicht nur Sterne, sondern auch auch Stars gewinnen. Filmemacher können beispielsweise die Reaktion des Publikums bei Premieren oder Voraufführungen vom Zimmer aus mitverfolgen. Das Haus schlägt der eigenen Entbehrlichkeit manches Schnippchen.

Die MK2-Gruppe versteht sich auf cinéphile Kombinationen. Nicht nur bin ich gern in ihren Kinos zu Gast. Der Multiplex an der Nationalbibliothek war für mich lange Jahre ein echtes Bermuda-Dreieck, als er noch über das beste DVD-Geschäft von Paris (längst nur noch ein Abglanz) und eine gut sortierte Buchhandlung verfügte. Warten wir mal ob, ob ich Stammgast in diesem Paradies werde. Die Welt weiß ja nicht immer, was ihr noch fehlt.

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