Wenn ich die Wahl zwischen Brando oder Dean hätte...
Er war anspruchsvoll. Den 17 Filmen, in denen Montgomery Clift auftrat, stehen rund 70 Angebote gegenüber, die er ablehnte. Haarsträubend, welche Rollen ihm im Laufe seiner Karriere angeboten wurden. Schauen Sie einfach mal bei Tony Crawley nach: http://www.crawleyscastingcalls.com/index.php/component/actors/index.php?option=com_actors&Itemid=56&id=600&lettre=C Nicht selten waren es dieselben, für die auch Marlon Brando und James Dean im Gespräch waren, was im ersten Fall heftigen Neid nach sich zog; wohl beiderseitig.
Er hielt sich an das Motto „Hold out for the very best“, wie Robert Osborne in „Making Montgomery Clift“ sagt, der zum morgigen 100. Geburtstag in einige wenige Kinos kommt. Es war schön, Bob vor einer Kamera zu sehen, wenn auch nur kurz. Er fehlt. Diese Absagen waren nicht nur Verweigerungskunst. Monty (ich habe einige Jahre gebraucht, um ihn bei diesem Kosenamen zu nennen, aber er stellt eben eine ganz besondere Familiarität her) hatte einen sicheren Instinkt dafür, welche Rollen seiner Karriere schaden würden.
Zurückhaltung steckte schon darin. Ihm war es lieber, wenn Regisseure seine Dialoge zusammenstrichen. Wie man im Dokumentarfilm sieht, tat er es selbst oft genug, und dann ganz souverän. Monologe überließ er gern den Anderen. Nicht, dass sie ihn eingeschüchtert hätten. Er ist markerschütternd im Zeugenstand in „Das Urteil von Nürnberg“, wo so vieles aus ihm hervorbricht, das sich kein anderer Schauspieler zugetraut hätte. Aber er besaß er eine bewundernswerte Intuition dafür, wie er auf der Leinwand wirkte. „Geht einfach näher auf meine Augen,“ schlug er den Kameraleuten oft vor.
Die waren nicht nur ein Spiegel seiner Seele, sondern seiner Intelligenz. Vor der Kamera ist sein Blick häufig nervös, er folgt einer agilen Suchbewegung. Seine Wissbegierde ist unbedingt. Mit jedem Lidschlag werden die Fragen dringlicher, die er stellt. Clift ist ein begnadeter Zuhörer, kann augenblicklich aufnehmen, was seine Partner ausdrücken wollen. Seine Empfänglichkeit löst deren Seelenknoten, stößt Prozesse der Ablösung und Trauerarbeit an, die er selbst erlebt hatte oder es hätte können. Nicht von ungefähr ist er brillant als Beichtvater in „Ich beichte“ und als Neurochirurg in „Plötzlich im letzten Sommer“, der als ein Psychoanalytiker agiert. Wer außer ihm hätte damals Freud spielen können?
Seine Leinwandpartnerinnen scheint er mit seinen Blicken zu verschlingen. Aber er nimmt sie nicht bloß als Objekte der Begierde wahr, sondern als Individuen. Sein Begehren ist gleichsam kameradschaftlich. Er vermittelt ihnen die Gewissheit, dass sie die Entscheidungen fällen. Wenn er Lee Remick in der Hochzeitsszene in „Wilder Strom“ anschaut, dann tut er es voller Bewunderung und zugleich Befremden darüber, dass eine solch starke Frau ihn heiraten will. Ein so zartgliedriger, anfangs fast engelhaft wirkender Mann weckt Schutzinstinkte. Aber welch enormen romantischen Spielraum eröffnet er damit! Seine Liebesszenen mit Elizabeth Taylor in „Ein Platz an der Sonne“ gehören zu den unvergesslichsten, die das Hollywoodkino hervorgebracht hat.
Mit ihm tritt nach dem Krieg ein andere Leinwandfigur auf den Plan. Seine Charaktere wirken entrückt, manchmal zumindest. Er selbst meinte, ihnen fehle eine Haut. Davon, was ein richtiger Mann ist, hat er einen anderen Begriff als die amerikanische Gesellschaft damals Es hat schon seine Richtigkeit, wenn Howard Hawks ihm in „Red River“ einen viel zu großen Hut aufsetzt. Aber seine ersten Leinwandauftritte setzen ein Signal des Aufbruchs. In „Die Gezeichneten“ beweist er ungekannte Sensibilität als GI, der sich eines Flüchtlingskindes annimmt. In „Red River“ entmachtet er den alten Rancher John Wayne und bringt den Viehtreck dank eines weniger autokratischen, sondern flexibleren und phantasievolleren Führungsstils ans Ziel. Auch in „Wilder Strom“ steht seine Figur für einen aufgeklärten Fortschrittsglauben. Als Beamter der Tennesse Valley Authority stößt er auf unüberwindlich scheinenden Widerstand, weil er während der Depressionszeit ganze Orte umsiedeln muss, die einem Staudamm weichen sollen. Insbesondere auf der Insel, über die Jo van Fleet gebietet (Kazans Film ist die schönste aller Adaption des „Kirschgarten“). Er vertraut mutig auf die Vernunft der Bevölkerung, die ihn im Gegenzug Respekt vor dem Land und seinen Traditionen lehrt.
Mit Clift findet noch kein unwiderruflicher Generationswechsel statt. Die Widerstände gegen die Moderne besitzen am Beginn seiner Karriere große Beharrlichkeit. Es ist bezeichnend, wie häufig dieser schmächtige Darsteller auf der Leinwand in Schlägereien verwickelt wird. Er macht kenntlich, wie viel Furcht die Herausforderung der Gewalt seinen Figuren einjagt. Aber er weicht ihr nicht aus, sondern beweist stoisch Nehmerqualitäten und Selbstironie: „Wenigsten einen Kampf würde ich gern mal gewinnen,“ sagt er in „Wilder Strom“. Auch in der Niederlage können seine Charaktere einen Sieg davontragen. Clifts reagierende, mitunter passive Präsenz dominiert die Leinwand. „Ich beichte“ wird ganz getragen von der verschwiegenen Duldsamkeit, zu der er dort als Priester verurteilt ist. Burt Lancaster hatte eine Heidenangst, in „Verdammt in alle Ewigkeit“ nicht gegen sein Talent bestehen zu können.
Seine Hingabe an die Rollen trug ihm heftige Konflikte mit patriarchalischen Regisseuren ein, nicht jedoch mit seinen Kollegen: Er war ein großzügiger Partner; ohne seine Unterstützung hätte Frank Sinatra den Oscar für „Verdammt in alle Ewigkeit“ wohl nicht gewonnen. Auf seine Rollen bereitete er sich akribisch vor. Für Zinnemanns Film nahm er monatelang Boxunterricht, die Suche nach dem Quartz-Mundstück für seine Trompete ist einer der kleinen Höhepunkte der Dokumentation, die sein Neffe Robert über ihm gedreht hat. Für Hitchcock studierte er lang, wie sich Priester in einer Soutane bewegen. Er brach sich beinahe das Rückgrat bei der Vorbereitung der Rodeo-Szenen in „Misfits - nicht gesellschaftsfähig“. Es wäre allerdings nur zur Hälfte richtig, dieses Eintauchen in die Figuren als method acting zu bezeichnen. Den Propheten der Bewegung, Lee Strasberg, hielt er für einen Scharlatan. Clifts Spiel ist weniger manieriert als das seiner Nachfolger Brando und Dean. Es altert besser.
Gleichwohl hat er viel mit ihnen gemeinsam. Ebenso wie sie stammt er aus dem Mittelwesten, hatte eine enge Mutterbindung (dem Dokumentarfilm zufolge nicht so obsessiv, wie immer behauptet), war vom Vater entfremdet (der dort gar nicht auftaucht) und bisexuell (was die Mutter schon mit 12, 13 Jahren entdeckt haben will). Auch seinem Spiel eignet zuweilen etwas Narzisstisches. Die Szene, in der er als sozialer Außenseiter in „Ein Platz an der Sonne“ während einer Abendgesellschaft allein Billard spielt, ist ein Meisterstück selbstvergessener Konzentration. Obwohl auch Clift ein Rebell war, ein Unbeherrschbarer, wuchs er geschmeidiger als sie in die Herausforderung hinein, ein Hollywoodstar zu sein.
Seine Rollen lassen sich als Metapher lesen für die Suche nach Wahrhaftigkeit in einer unaufrichtigen Gesellschaft. In WilliamWylers „Die Erbin“ kann er auch das Gegenteil verkörpern. Sie scheinen durch seine eigene Biographie beglaubigt. Sein erster Auftritt in „Misfits“, das Telefongespräch mit der Mutter, spielt auf den verheerenden Verkehrsunfall an, nach dem sein Gesicht von einem plastischen Chirurgen wiederhergestellt werden musste. Das war eine schreckliche Zäsur in seiner Karriere. Vorher trank er zu viel, danach war er von Schmerzmitteln und anderen Drogen abhängig.
Nun spiegeln sich in seinen Augen Anspannung und Schmerz, die Brauen werden buschiger. „Misfits“ scheint eine Bilanz zu ziehen beschädigter, entwurzelter Biographien. Er ist nach dem Unfall abrupt gealtert. Hatte er die Zeit, erwachsen zu werden? Seine Biographen unterstellten ihm eine instabile Persönlichkeit. Der Dokumentarfilm weiß es besser, und man wünscht sich, dass das stimmt. Seinen Figuren jedenfalls wächst ab „Plötzlich im letzten Sommer“ eine ungekannte Reife zu. Seine Stimme wird rauer und dunkler, sie gewinnt größere Autorität. Ich mag ihn in den späten Rollen noch lieber, nicht aus Mitgefühl, sondern Bewunderung. Es heißt, er konnte da schon nicht einmal mehr eine Kaffeetasse halten. Auf der Leinwand sieht man dergleichen nur, wenn es zur Rolle gehört. Zuhören kann Monty in den 60ern noch immer besser als jeder Schauspieler seiner Generation. Und die Fragen, die seine Augen stellen, sind noch dringlicher.
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