Unisex
Heute erschien in der "Berliner Zeitung" ein Interview mit der Doppelspitze der Berlinale, das eine lange und programmatische Überschrift trägt: "Es ist gut, dass wir die Frage nach dem Geschlecht nicht mehr stellen müssen." Im Gespräch wagen Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian einen Ausblick auf das hoffentlich physische Festival im nächsten Februar und verteidigen ihre Entscheidung, fortan einen genderneutralen Darstellerpreis zu vergeben.
Ein Einlenken wäre überraschend und blamabel gewesen (https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/genderneutral-baer-berlinale-leitung-es-ist-gut-dass-wir-kuenftig-nicht-mehr-die-frage-nach-dem-geschlecht-stellen-muessen-li.109330.) Es gab ja auch Zuspruch für diesen Vorstoß, in Venedig etwa haben ihn Cate Blanchett und Tilda Swinton als Fortschritt gefeiert. In der Tat hat er einen Anschein von Gerechtigkeit. Hier zu Lande löste er vor einigen Wochen eine unentschiedene Debatte aus. Die Bedenken waren erheblich. Schauspielerverbände meldeten ihre Sorge an, dass Darstellerinnen dabei ins Hintertreffen geraten könnten, da sie im aktuellen Kino immer noch viel weniger tragende Rollen spielen. Dass die FAZ in ihrer Berichterstattung die Wortführerin eines dieser Verbände, Leslie Malton, für einen Mann hielt, wird man nicht wirklich als Fortschritt werten können. Auf die Tür, die diese Neutralität für Darsteller öffnet, die sich nicht einem bestimmten Geschlecht zuordnen möchten, muss man wiederum nicht mit dem mokanten Hinweis auf ihre statistische Geringfügigkeit reagieren, wie es einige meiner Kollegen taten.
Mir bereitet diese Entscheidung seither ebenfalls Kopfzerbrechen. Anfangs schien sie mir ein Indiz dafür, dass die neue Berlinale an der Symbolpolitik festhält, der schon die vorangegangene den Vorzug vor künstlerischen Erwägungen gab. Es ist mithin nicht auszuschließen, dass Dieter Kosslick sich in seinem Kämmerlein grämt, dass er nicht selbst auf so eine richtungsweisende wohlmeinende Idee kam. Die neue Berlinale hatte sich ja überdies abgesichert: Nun wird es einen Preis für die beste Nebendarstellung geben, da kann man die Karten immer noch mal anders mischen, wenn einem der Proporz nicht gefallen sollte.
Interviewerin Susanne Lenz hakt mehrfach nach, auch im Sinne einer möglichen Benachteiligung weiblicher Kandidatinnen für den Preis. Rissenbeek, die vom Marketing kommt, erwidert, Chancengleicheit hätte es auch früher bei dem die Geschlechter unterscheidenden Silbernen Bären auch nicht gegeben (wie das?), vielmehr wolle man die Diskussion vertiefen. Chatrian, der als künstlerischer Leiter vielleicht noch anderen Vorstellungen verpflichtet sein könnte, stimmt ihr zu: Er glaube nicht, dass Frauen und Männer andere Techniken verwenden und deshalb unterschiedlich bewertet werden sollten. Dies sei die einzige Auszeichnung, ergänzt Rissenbeek, die bisher abhängig vom Geschlecht vergeben würde. Bei der Regie etc. gelte dieses Kriterium nicht. Sie sagt das, als sei es ein reformatorisches Gebot, alte Zöpfe abzuschneiden.
"Wenn wir den Bären genderneutral machen", meint sie, "wird die Jury stärker darüber nachdenken müssen, was sie eigentlich auszeichnen will." Damit liefert sie eine Anleitung, die künstlerische Erwägungen noch weiter in den Hintergrund treten lassen könnte. Da werden im Zweifelsfall unversehens Kriterien wichtig, die noch weniger mit der individuellen Leistung zu tun haben: Wes Geschlechts war der Vorjahressieger? Dürfen wir zwei Frauen hintereinander den Preis geben? Warum gibt es wieder keine binären Kandidaten?
Es ist der Frage würdig, weshalb es die Unterscheidung nach Geschlechtern historisch gibt. Die Festivals und Filmakademien, die in diesem Metier von Anfang an auf der Differenzierung bestanden, taten dies nicht von ungefähr. Die Parität muss dabei nicht ihr ausgesprochenes Ziel gewesen sein, aber sie war immerhin eine prä-feniminstische Konsequenz. DarstellerInnen besitzen im Bewusstsein des Publikums eine unterschiedliche Präsenz und Faszination. Ihre Kunst der Verkörperung löst eigene Phantasien aus. Sie laden zu einer völlig anderen Art von Identifikation ein als Regie, Drehbuch, Kamera, Szenenbild, denn sie sind sichtbar. Eine Rolle zu spielen, etwas Anderes (und dabei womöglich doch Eigenes) darzustellen, berührt einen intimen Bereich. Der hat auch mit uns, dem Publikum. Die Botschaften der Schauspieler und unsere Neugier auf sie sind nicht unisex.
Ich bin nicht einmal sicher, ob Chatrian in der Frage der Technik Recht hat. Vielmehr bin ich überzeugt, dass die aufgeklärte Wandlungsfähigkeit eines Daniel Day-Lewis sich doch wesentlich unterscheidet von der einer Meryl Streep. Es sind andere Sensibilitäten im Spiel. Männer und Frauen ringen mit unterschiedlichen Rollenbildern. Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, dass sie unterschiedliche Metiers ausüben..Aber ich glaube, es gibt Unterschiede im Zugang, in der Haltung. Die Filmgeschichte ist beispielsweise reich an Schauspielern, die mit ihrem Beruf haderten, weil er ihnen unmännlich erschien. Robert Mitchum fällt mir da auf Anhieb ein, danach die ganzen romantisch zerrissenen Briten, die ihren Beruf nur als Alkoholiker ertragen konnten, Richard Burton und Konsorten. Ihre Angst vor der Preisgabe war groß. Hat man dergleichen je von Schauspielerinnen gehört?
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