Innenansichten eines Bildimperiums

Es gibt Kapitel der Filmgeschichte, die man nicht mehr nacherzählen muss und andere, die immer wieder neu erzählt werden sollten. Das ist nicht allein eine Frage ihrer Bedeutung, sondern auch der Sättigung. Jedoch sind verblüffende Erkenntnisse auch auf gründlich vermessenem Terrain nicht ausgeschlossen.

Seit rund einem Vierteljahrhundert setzt sich Friedemann Beyer mit der Ufa auseinander und wird nicht müde, ungekannte Aspekte aufzuspüren. Aus dieser Beschäftigung sind diverse Bücher hervorgegangen, zuletzt „Die Ufa - Ein Film-Universum“, das pünktlich zum 100. Firmenjubiläum im Dezember 2017 bei morisel erschien. Am nächsten Donnerstag (6. Dezember) diskutiert er im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Forum Film“ mit Dr. Anna Bohn im Salon der Amerika Gedenkbibliothek über das Thema; ein schöner Anlass, der diesen Eintrag nicht mehr ganz so unpünktlich erscheinen lässt.

Beyer erzählt in dem Band die Konzerngeschichte gleich zweimal. Zunächst rekapituliert die entscheidenden Ereignisse und Weichenstellungen in Kapiteln, die jeweils ein Jahrzehnt in den Blick nehmen, Sodann blättert er diese dann anhand zahlreicher Szenen- und Arbeitsfotos erneut auf. Beide Stränge beruhen auf gründlicher Recherche. Beyer hat Vorstandsprotokolle und andere interne Dokumente sowie die zeitgenössische Fachpresse und spätere -literatur durchforstet. Die Textpassagen richten sind nicht an Eingeweihte, sondern legen Wesentliches und Unbekannteres dar. Sie sind bereits reich bebildert, was dem Konzept eine etwaige Strenge nimmt und dem Band einen schönen visuellen Fluss gibt. Die Bildstrecken wiederum warten mit vielen bislang unveröffentlichten Fotos auf, die Beyer in Archiven und privaten Sammlungen fand. Sie sind eine schöne Erweiterung des Kanons, machen aber auch Lücken in der Überlieferung kenntlich. Die Bildlegenden sind oft ausführlich, manchmal anekdotisch, sie schildern Drehsituationen, Produktionsabläufe oder stellen Kontexte her.

Ich stelle es mir nicht einfach vor, ein solches, über Jahrzehnte angehäufte Expertenwissen in eine eingängige Form zu bringen. Aber Beyer gelingt das, wenn er beispielsweise über die Ufa-Musikkomödien schreibt und deren „Melodien, die man beim zweiten Hören schon mit pfeifen kann.“ Auf relativ knappem Raum lässt er die Konzerngeschichte als eine Kaskade ökonomischer Wechselfälle Revue passieren, eng verknüpft mit der gesamtwirtschafliche Entwicklung, technischen Fortschritten (die Umstellung auf den Tonfilm bewältigte die Ufa rasant) und dem Wandel des Publikumsgeschmacks. Er stellt bündig dar, wie sich die Marktanteile der in- und ausländischen Konkurrenz verschieben und wie der Traum zerschellt, ein gleichberechtigter Partner der Hollywoodmajors zu werden.

Die Erbsünde der Ufa war ihre Staatsnähe. In der Chronik von 1917 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs legt Beyer Wert auf Differenzierung. Emphatisch nimmt er die Firma gegen den Vorwurf in Schutz, nach Machtergreifung der Nazis eine reine Propagandaschmiede gewesen zu sein. Er zeigt Ambivalenzen auf – Linientreue kollidierte nicht selten mit ökonomischem Kalkül, jüdische Mitarbeiter wurden noch bis 1938 beschäftigt; Reinhold Schünzels „Amphitryon“ liest Beyer als Parodie auf Leni Riefenstahls Parteitagsfilm -, kann aber auch nicht umhin, den Konzern als Kriegsgewinnler (bis 1942) einzuschätzen. Auch die Bildpassagen sind nicht unverfänglich, sondern vollziehen ideologische Hakenschläge nach.

Das Buch ist kein klassischer Bildband, sondern vielmehr ein lebhaft kommentiertes Fotoalbum. Der Glamour kommt zu seinem Recht, einige der Starporträts sind veritable Ikonen: die Strecke mit Camilla Horn mag ich besonders gern, aber die wandlungsfähigste Anmutung besitzt zweifellos Lilian Harvey. Vor allem jedoch will Beyer der Traumfabrik bei der Arbeit zuschauen. Auch hier gilt es, Entwicklungen darzulegen: Bis zum Durchbruch der Kleinbildfotografie 1927 wirken die Dreharbeitenfotos in der Regel noch gestellt, danach indes erheblich spontaner. Sie besitzen eine wunderbar gelassene Dramatik, in der unterschiedliche kreative Temperamente zum Vorschein kommen. Die Studiofotografen blickten nicht nur hinter die Kulissen, sondern auch in die Produktions- und Werkstätten. Das Buch summiert sich zu einer kleinen Archäologie des Produktionsalltags.

 

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