Schrecken des Mittelbaren
In »Die Stunde der Patrioten«, der zweiten Verfilmung eines Romans von Tom Clancy, gibt es eine Szene, die einen nachhaltigen Schock bei mir hinterlassen hat. Vielleicht sollte ich kurz die Geschichte in Erinnerung rufen. Clancys Held, der ehemalige Marineoffizier Jack Ryan (damals noch gespielt von Harrison Ford), vereitelt während eines Ferienaufenthalts in London das Attentat auf einen entlegenen Verwandten der Königsfamilie und tötet dabei einen IRA-Terroristen, dessen Bruder ihm und seiner Familie daraufhin Rache schwört.
Nachdem der Bruder, selbst einer der Attentäter, fliehen konnte, begibt sich Ryan gemeinsam mit der CIA sowie anderen westlichen Geheimdiensten auf die Jagd nach ihm und seinen Verbündeten. Sie werden in einem Ausbildungslager in Libyen aufgespürt. Sodann schickt sich ein Sonderkommando der SAS, also der britischen Armee, an, die Verdächtigen allesamt zu töten. Ryan und die anderen Geheimdienstoffiziere verfolgen die Aktion per Satellit. Wenn ich mich nicht irre, ist das Massaker, das die SAS-Leute dort anrichten, nach einer kurzen Exposition der Sequenz nur noch via Satellitenaufnahmen zu sehen. Die Zuschauer verfolgen es gebannt. Damals, 1992, war so etwas auf Kinoleinwänden noch nicht zu sehen gewesen. Es schien, als habe ein neues Kapitel der Kriegsführung begonnen. Man gewann den Eindruck, dass auch die Augenzeugen des Kommandounternehmens so etwas noch nicht miterlebt hatten. Sie ware sämtlich gestandene, erfahrene Militärs und Geheimdienstleute, die gewiss nicht zimperlich mit ihren Gegnern umgingen. Aber es ergriff sie doch ein Gefühl der Beklemmung, denn sie waren ja nicht nur Beobachter, sondern Auftraggeber der Tötungen.
Tom Clancy war zweifellos ein eher dubioser Chronist geopolitischer Verwerfungen, er gehörte zu den Rechtsauslegern unter den Politthrillerautoren, dessen Romane gefährlich arglos für einen Gung-Ho-Interventionismus der USA plädierten. So darf man gewiss auch den Originaltitel des Films »Patriot Games« lesen. Die Clancy- Verfilmungen, die ich mag (»Jagd auf Roter Oktober« und vor allem »Das Kartell«), sind wahrscheinlich ein wenig klüger als ihre Vorlagen. Und vielleicht humanisiert besagte Szene die Entscheidungsträger aus der Ferne auch unziemlich. Dennoch wurde in ihr spürbar, dass hier eine Grenze überschritten wurde. Die kriegerische Handlung verlor ihre Unmittelbarkeit, das Töten ließ sich fernsteuern.
Selbstverständlich musste ich an diese Szene denken, als jenes berühmte Foto um die Welt ging, das Mitglieder des Kabinetts von Barack Obama zeigt, die live per Satellit die Hinrichtung Osama bin Ladens mitverfolgten. Sie werden das Bild vor Augen haben: Die Männer verfolgen, darunter Obama, betrachten die Aufnahmen mit strategischem Interesse, die damalige Außenministerin Hilary Clinton hingegen hält sich die Hand vor den Mund. Vielleicht tut sie aus aus Schrecken, vielleicht spielt sie auch eine noble Rolle vor dem offiziellen Fotografen dieser Szene. Gleichviel, ihre Reaktion demonstriert, dass die Augenzeugenschaft aus der Ferne nicht entlastet. Im Gegenteil wirft die Entrückung selbst neue ethische und staatsrechtliche Fragen auf. Ich bin nicht sicher, ob Obama dies vollends bewusst war, dessen Präsidentschaft in meinen Augen doch erheblich kompromittiert wird durch einen technokratischen Fortschrittsglauben, der eben auch die Kriegsführung betraf: die Illusion, die digitale Überwachung von Feinden und Freunden sowie der Einsatz von Kampfdrohnen sei nicht nur zeitgemäßer, sondern irgendwie auch unbefleckter.
Es stand außer Frage, dass sein Amtsnachfolger diese Zukunftstrunkenheit teilen würde. Heute Abend las ich über eine »Kill list«, die er abgesegnet hat. Auf ihr befinden sich vermeintliche Terroristen und andere Gegner, die mittels Drohnen ausgeschaltet werden dürfen. (Beinahe hätte ich »neutralisiert« geschrieben, aber diesen furchtbaren Euphemismus gab es ja schon vor den neuen Tötungstechniken.). Die Ziele werden durch ihre Mobiltelefone geortet. Besonders schockierend an dieser Autorisierung unbemannter Luftangriffe ist das einberaumte Recht zu »follow-up-strikes«, zum erneuten Zuschlagen, das unverhohlen auf zivile Opfer zielt, die beispielsweise den ersten Opfern zu Hilfe eilen. Staatsrechtlich problematisch könnte das Dekret für Donald Trump nun werden, da zumindest zwei Reporter mit arabisch klingenden Namen auf dieser Liste stehen, von denen einer pikanterweise US-Staatsbürger ist.
Über die Traumatisierung von Soldaten, die Krieg mit Drohnen führen gibt es schon ein, zwei Filme, beispielsweise »Good Kill – Tod aus der Luft« von Andrew Niccol, der eigentlich immer ein interessantes Gespür für die Verheerungen avancierter Technik besitzt. Aber insgesamt ist das Thema noch ein bisschen zu frisch, um Filme hervorzubringen, die tatsächlich die entscheidenden Fragen stellen. Weit aufschlussreicher erscheint mir der Rückblick auf Marcel Ophüls' »Die Geschichte der Kriegsberichterstattung« von 1994, der Korrespondenten westlicher Medien während der Belagerung von Sarajevo zeigt und endlich auf DVD bei uns erschienen ist. Ophüls' Dokumentation wird, obwohl auf den Krieg in Ex-Jugoslawien fokussiert, seinem umfassenden Titel gerecht, denn er wagt einen Panoramablick auf das Verhältnis von Propaganda und Wahrheitssuche seit dem Krimkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts. In Sarajevo entdeckt er eine neue, ungekannte Form der Zensur: Das gezielte Töten von Berichterstattern durch Scharfschützen. Der Film ist noch vor der der digitalen Revolution entstanden. Donald Trump wird ihn sicherlich nicht gesehen haben. Aber prophetisch könnte sein Befund dennoch sein.
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