Fingerspitzen
Morgen, am 30. März, feiert Warren Beatty seinen 80. Geburtstag. Ich kann mich noch gut erinnern, wie er halb so alt wurde. Da galt er noch als unermüdlicher Verführer, als der Peter Pan der Klatschspalten und Studiohierarchien des auslaufenden New Hollywood. Die Filmmetropole war noch ein ganz anderer Ort: ein Klub, in dessen Zentrum er immer stand, obwohl er schon damals die Kunst des heroischen Zögerns beherrschte.
Heute ist er die verblasste Ikone einer anderen Epoche. Daran wird auch sein neuer Film nichts ändern, in dem er Howard Hughes spielt und der in einer Woche bei uns anläuft. Die berühmten Frauen, die er eroberte, kennen mittlerweile nur noch wenige Kinogänger: Natalie Wood, Joan Collins, Leslie Caron, Julie Christie und angeblich unzählige andere. Gut. Madonna ist da eine Ausnahme, wenngleich eine weniger rühmliche. Woody Allen sagte einmal, wenn er wiedergeboren würde, dann am liebsten als Warren Beattys Fingerspitzen. Eine solche Fama lässt sich nicht über ein halbes Jahrhundert aufrechterhalten, aber Beatty ist es fast gelungen.
Seine Filme sind nicht ganz so sehr verblasst. »Bonnie and Clyde« wird nun 50 Jahre alt, eine Initialzündung des New Hollywood, ein game changer, den man nicht einfach abschreiben kann. »Mc Cabe und Mrs. Miller« ist einer der großen Entzauberungswestern, »Zeuge einer Verschwörung« einer der besten Paranoia-Thriller der 70er und »Shampoo« eine der tückischsten Sittenkomödien aus Südkalifornien. Den hat er mit seinem Freund Robert Towne geschrieben, der ihm und dem aktuellen Hollywood schmerzlich fehlt. Für sein Regiedebüt »Der Himmel kann warten« hatte ich von Anfang an eine Schwäche; schon wegen des Saxophon-Themas von Dave Grusin. Drei Jahre später brachte er »Reds« heraus, mit dem er demonstrierte, dass er es wirklich ernst meinte mit dem Filmemachen: ein Epos über reuelose amerikanische Sozialisten, der geradewegs in die erste Amtsperiode Ronald Reagans hineinplatze. Welche Verführungskraft muss er mobilisiert haben, um so viel Geld bei Paramount für ein so unamerikanisches Projekt locker zu machen! Danach scheint sich seine Magie zu verflüchtigen. Sie zeigte sich immer schon sporadisch, aber nun wurde das Zögern fahrlässiger. In »Dick Tracy« führte er vor, wie viel inszenatorische Phantasie er einem trivialen Stoff abgewinnen konnte. Eigentlich hat er damit die Comic-Verfilmung neu erfunden (und gleich mit dem Expressionismus gekreuzt), aber es ist ein Experiment, das beim zweiten Sehen besser funktioniert als beim dritten. »Bugsy« wiederum, den Barry Levinson gedreht hat, der thematisch aber ganz auf der Linie des Co-Produzenten Beatty lag, ist ein Schlüsselfilm darüber, wie der amerikanische Traum vorzugsweise von den Falschen geträumt wird. »Bulworth« ist eine Politsatire, deren Bizarrerien vielleicht schlechter altern, der dennoch aufschlussreich bleibt. Seither hat er sich weitgehend aus dem Filmgeschäft zurückgezogen. »Town and Country« habe ich als ziemlich läppisch in Erinnerung.
Der alte Warren Beatty kehrt nicht mehr zurück. Er ist domestiziert, offenbar sehr glücklich verheiratet mit Annette Benning und Vater von vier Kindern, die volljährig sind und eigener Wege gehen, die ihnen der erlöschende Ruhm des Vaters wohl nicht erschwert. Dieser Ruhm stellte sich fast schon vor seinem ersten, magistralen Film »Fieber im Blut« von Elia Kazan ein. (Er gehörte zu den wenigen, die bei der Verleihung des Ehren-Oscars an den berüchtigten Denunzianten während der McCarty-Ära klatschte.)
»Er war schon berühmt, bevor er geboren wurde«, spottete Dustin Hoffman einmal, der in einer Rolle berühmt wurde, die Beatty ablehnte (»Die Reifeprüfung«) und mit dem er später den Kreuzweg von »Ishtar« beschritt. Das hatte vielleicht damit zu tun, dass Shirley McLaine seine Schwester ist. Aber nicht viel. Beatty war praktisch mit seiner ersten Filmrolle schon ganz da, was sonst nur Lauren Bacall, Richard Widmark oder Béatrice Dalle gelungen ist. Augenblicklich kaufte er sich aus seinem Vertrag mit MGM aus, um seinem Eigensinn zu folgen. Das war einerseits gut so, wie John Frankenheimers »Mein Bruder, der Lump«, »Liltih« von Robert Rossen und der sonderbare »Mickey One« von Arthur Penn zeigen; und selbst wenn er als italienischer Gigolo in »Der römische Frühling von Mrs. Stone« nicht glaubhaft ist, bleibt es doch eine interessante Darstellung. So viel Kasse wie sein Kinodebüt machte keiner von denen, aber die Legende nahm Formen an. Er war die treibende Kraft hinter »Bonnie und Clyde«, den er zunächst Truffaut und Godard anbot. Als Produzent hat er dann 1967 mit Arthur Penns Verfilmung ein Vermögen verdient (sieben Millionen Dollar klingen heute nicht mehr danach, aber stellen Sie sich das mal inflationsbereinigt vor). Danach standen ihm alle Türen offen, aber nur wenige fand er verlockend. Er rühmte sich, alle Rollen abgelehnt zu haben, die Robert Redford groß gemacht haben. Darüber hinaus kommt eine stolze Liste der Verweigerungsleistungen zusammen, die von »West Side Story« über »Charade«, »Spiel mir das Lied vom Tod« (Paramount wollte ihn für die Bronson-Rolle) und »Der letzte Tango in Paris« (er machte lieber Wahlkampf für Nixons demokatischen Rivalen McGovern) bis zu »Pretty Woman«, »Schindlers Liste« sowie »Kill Bill« reicht. Fast möchte man meinen, die Schattenfilmographie sei interessanter als die reale. Das ist nicht ganz verkehrt, führt zumindest stracks zum Kern des Mythos' Beattys als Perfektionist und Zauderer. Der Regieassistent von »Mc Cabe und Mrs.Miller« berichtete, sie hätten noch zwei Dutzend Takes gedreht, nachdem Robert Altman sich vom Set verabschiedete. In seiner großen Zeit war er ein glorios unerfülltes Versprechen.
Barry Levinson ist nicht der Einzige, der das als eine Schande empfindet. »Ich hätte ihn in den 80ern gern in neun Rollen gesehen und nicht nur in zwei«, sagte der Regisseur von »Bugsy« einmal, »denn dann hätte er einen wirklichen Korpus geschaffen. Er wird unterschätzt, man hält ihn für einen gutaussehenden, aber nicht für den intelligenten Schauspieler, der er ist. « Was aber hätte Beatty uns zeigen können? Seine darstellerische Rhetorik scheint erst einmal begrenzt, gewisse Manierismen sind unverkennbar. Den Oberkörper beugt er gern vor, nicht nur, um sich seinem Gegenüber zuzuwenden, sondern auch, um seine Größe zu betonen. Seine Hände sind agil, er reckt sie gern beschwörend empor. Er demonstriert eine Aufmerksamkeit, von der er wünschte, sie könne ungeteilt sein. Als Verführer gibt er sich schüchtern, unbeholfen, überrascht von der Liebe. Sein Mund steht häufig offen, was nicht zwangsläufig auf Intelligenz schließen lässt. Er versteht die Naivität und Arglosigkeit seiner Figuren sehr genau. Das müsste ihn zugänglich erscheinen lassen für ein amerikanisches Publikum. Aber er ist kein Instinktschauspieler, obwohl er vom Method Acting kommt. Bei ihm sind die Nahtstellen immer sichtbar. Er zeigt, wie er selbst und wie seine Charaktere eine Rolle einstudieren. Erinnern Sie sich an sein Mantra in »Bugsy«: »Twenty dwarfs took turns doing handstands on the carpet.« Es ist nie genug, das Lernen geht unaufhörlich weiter, die Selbstverständlichkeit ist eine Schimäre.
So strengt sich keiner an, der dazugehört. Redford mag auch noch als Amerikaner erscheinen, wenn er ideologisch andere Wege beschreitet als sein Publikum. Er eröffnet ihm sie vielleicht sogar. Beatty sieht so vertrauenswürdig amerikanisch aus wie ein Quarterback. Aber insgeheim bleibt er immer der Andere. Er führt entschiedener vor, was Amerika sein könnte, aber nicht sein will. Sein Clyde Barrow gehört ebenso wie Redfords Sundance Kid der Folklore an. Aber niemand im Publikum will so sein wie er: einer, der seine Impotenz erst überwindet, als er und Bonnie berühmt geworden sind. Redford ist zweifellos smarter in seiner Rollenwahl. Der hätte nie einen Zuhälter wie McCabe gespielt oder einen erotischen Opportunisten wie den Friseur in »Shampoo«. John Reed, den einzigen Amerikaner, der ein Ehrengrab im Kreml hat, hätte er sich allerdings auch nicht zugetraut. Beattys Vision einer amerikanischen Linken in »Reds« ist offener, bohèmehafter, radikaler, als es die Redfords und Sydney Pollacks in »So wie wir waren« sein konnte. In »Reds« finden Historie und individuelle Geschichte zu einem einzigartigen Gleichgewicht. Er schmiegt sich den Figuren nicht an, sondern stellt sie dar als etwas, das sich nicht einhegen lässt.
Ich merke schon, Beatty ist so vielschichtig, dass ich auf ihn zurückkommen muss, wenn in einer Woche sein »Regeln spielen keine Rolle« herauskommt.
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