Kritik zu Bulworth
Vom deutschen Verleih unzählige Male geschoben, ist Warren Beattys »Bulworth« in den USA längst ein Politikum. Trotz prominenter Fürsprecher wie Martin Scorsese oder Norman Mailer floppte Beattys »tragische Farce« beispiellos an den Kinokassen
Anders als »Wag the Dog« oder »Primary Colors«, die mit »Bulworth« zeitgleich ins Rennen gingen, flüchtet sich Beatty nämlich nicht in zynische Medienkritik oder psychologisierenden Moralismus, sondern wagt es, unter seiner komödiantischen Oberfläche einen Dialog über Klassen- und »Rassen«-Fragen anzuzetteln, mit dem wirklich niemand mehr gerechnet hat.
Kritiker der Linken wie der Rechten waren sich denn auch einig, daß die Sensation schon allein im Zustandekommen von »Bulworth« besteht. Der Film ist Ergebnis der Rechtsstreitigkeiten um »Dick Tracy« (1990), die Beatty mit einem Vergleich beilegte: Für den nächsten Film wurden ihm die völlige künstlerische Kontrolle (ohne Vorlage des Drehbuchs) und der Final Cut zugesichert, sofern die Kosten unter 30 Mio. Dollar blieben. Beatty hat die Chance genutzt, all das, wofür er in seinem Leben einstand, zu einem atemberaubend durchdachten, post-brechtschen HipHop-Lehrstück zu bündeln, das vielleicht das Prädikat des einzigen wirklich »marxistischen« Hollywood-Films verdient.
1996: In Kalifornien geht die Vorwahlkampagne für die Präsidentschaftswahl in die entscheidende Phase, und der amtierende Senator Jay Bulworth (Warren Beatty) möchte erneut in den Senat einziehen. Er hat seit Tagen weder gegessen noch geschlafen und ist dem Nervenzusammenbruch nah.
Die Kamera tastet eine Wand mit Photos ab. Auf ihnen sehen wir historische Aufnahmen: etwa Warren Beatty mit dem Black-Panther-Führer Huey P. Newton oder im Wahlkampf Robert Kennedys. Aufnahmen aus einer Zeit, in der Beatty wie sonst allenfalls Jane Fonda den Flirt des New Hollywood mit der Politik der New Left verkörperte – und zu einem jener neuen männlichen Sexsymbole der Gegenkultur wurde, deren »reformierter« Machismo sich in der Rhetorik der sexuellen Revolution artikulierte und mit Rebellenromantik umkleidete. 1972 engagierte sich Beatty für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten George McGovern und gehörte neben Shirley MacLaine, Harry Belafonte und Jack Nicholson zu den Unterzeichnern einer Solidaritätsadresse für den vom FBI verfolgten Filmemacher Emile De Antonio. Eine gewisse Anti-Establishment-Tendenz hatten auch Beattys Rollen als Schauspieler ausgezeichnet, ob in »Bonnie And Clyde« (1967) oder »The Parallax View« (1974).
All das ruft der melancholische Schwenk über die ersten Bilder ab. Bei einem Treffen mit dem Versicherungs-Lobbyisten Crockett (Paul Sorvino) verspricht Bulworth, einen die sozial Schwachen begünstigenden Reform-Entwurf zu Fall zu bringen (im Austausch für eine Zehn-Millionen-Dollar-Lebensversicherungspolice zugunsten seiner Tochter). Während Bulworths Berater unter Führung des manischen Murphy (Oliver Platt) bereits hektisch die Kampagne planen, heuert der Senator einen Killer an, der ihn im Verlauf des Wahlkampfs töten soll.
Von nun an hat Bulworth natürlich nichts mehr zu verlieren und entwickelt eine nahezu naive Lust am Aussprechen »der Wahrheit« – ein Topos, der auf Elia Kazans »A Face in the Crowd« (1957) zurückgeht, nur daß Bulworth' »Wahrheit« nichts mit dessen ressentimentgeladenen Populismus zu schaffen hat. In South Central bricht Bulworth eine Rede ab und erklärt dem verdutzten afroamerikanischen Publikum, die Versprechen von korrupten weißen Politikern wie ihm selbst würden immer Lippenbekenntnisse bleiben. Am nächsten Tag brüskiert er eine Industriellenversammlung, indem er – wie bei allen weiteren Auftritten – seine Rede rappt: »Only the Socialist medicine can save the day. Say it loud, the dirty word: Socialism!« Diese politische Tour de force gipfelt in einer Talkshow, in der er dem Publikum verkündet, die wirkliche Obszönität in den USA sei die Armut, und die Umverteilung des Eigentums der herrschenden Klasse fordert. Von nun an ist Bulworth auf der Flucht, sowohl vor seinen Parteigenossen als auch vor dem Killer, den er, frisch verliebt, zurückpfeifen will.
In Beattys Filmen wie in seiner Starpersona sind Politik und Libido untrennbar miteinander verbunden, nur ganz selten sind seine Charaktere nicht auf ein weibliches Gegenüber ausgerichtet – und immer ist Sex die Antwort auf alle Probleme, so auch in Bulworth' »racial deconstruction program«. Dabei gerät die Beziehung zu der jungen Schwarzen Nina (Halle Berry) zum entscheidenden Katalysator für Bulworth' Veränderung.
Als sich der weiße Politiker und die schwarze Frau auf einer Autofahrt näherkommen, fragt Bulworth sie, warum es heute keine schwarzen Führer vom Format der Black Panthers mehr gäbe. Nina antwortet mit dem längsten und kompliziertesten Monolog des ganzen Films, wägt die Auswirkungen von Repression und Terror mit den Effekten eines narzisstischen Konsumkapitalismus ab und schließt mit einer materialistischen Analyse der ökonomischen Situation der schwarzen Community. Die nächste Szene hingegen zeigt nicht die romantische Vereinigung zweier Menschen, sondern wie die von Nina beschriebenen ökonomischen Zwänge auf sie selbst wirken: Sie greift zum Mobiltelefon, und es wird klar, daß sie an einem Mordkomplott beteiligt sein muß. Zu kritisieren wäre, daß die Darstellung schwarzen Alltags in fast allen Szenen eher klischeehaft ausfällt.
Am Ende liegt Bulworth lebensgefährlich verletzt im Krankenhaus. Die Kugel kam nicht vom Auftragskiller, sondern aus jener Ecke, in der kurz zuvor ein Versicherungs-Lobbyist stand, der Bulworth' Reformprogramm um jeden Preis verhindern wollte. Politische Paranoia-Phantasien sind, bemerkte Fredric Jameson einmal anhand der Thriller Alan Pakulas, als deren komödiantische Fortschreibung sich »Bulworth« mitunter verstehen läßt, eine der wenigen verbliebenen Formen, gesellschaftliche Totalität zu imaginieren. Beatty ist es demnach verdammt ernst.
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