Die Unzertrennlichen
Man hätte schon gern gewusst, wer die anderen vier Namen auf der Liste waren. Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren, und das ist bestimmt auch gut so. Das „Was wäre wenn“ ist zwar ein reizvolles Gedankenspiel, aber Filmgeschichte lässt sich damit nicht schreiben. Die getroffene Entscheidung war jedenfalls klug und keiner der Beteiligten hat sie je bereut.
Fünf Kameraleute hatte David Cronenberg auf einer Wunschliste notiert, als er Ende der 1980er Jahre „Die Unzertrennlichen“ (Dead Ringers) vorbereitete. Zuvor hatte der kanadische Regisseur fest mit seinem Landsmann Mark Irwin gearbeitet, wollte seinem Kino nun aber eine neue Richtung geben. Seine Wahl fiel auf Peter Suschitzky, was auf den ersten Blick paradox erscheinen könnte. Dieser war wie sein Vater Wolf (über dessen Arbeit als Fotograf und Kameramann ich an dieser Stelle schon zweimal schrieb) in der britischen Dokumentarfilmbewegung groß geworden. Peter mochte das Horrorgenre damals überhaupt nicht, weshalb er auch nie zuvor einen Cronenberg-Film gesehen hatte. Diese Divergenz sollte sich als ideale Grundierung erweisen, denn aus ihr gingen elf gemeinsame Filme in 26 Jahren hervor.
Auf den zweiten Blick erscheint die Entscheidung jedoch überaus logisch. Seit den 1960ern hatte der Kameramann eine große Vielseitigkeit bewiesen, die man aber nicht eklektisch schimpfen muss. Er war eben nicht auf den Rinnstein-Naturalismus des britischen New Cinema festgelegt, sondern konnte sich gemessen auf ästhetische Extravaganzen einlassen. Zuvor hatte er erfolgreich mit Exzentrikern wie Ken Russell zusammengearbeitet und in Bizarrerien wie John Boormans „Leo, der Letzte“ und Joseph Loseys „Im Visier des Falken“ die Grenzen des Realismus souverän überwunden. Mit Jacques Demy hatte er die Feerie „Der Rattenfänger von Hameln“ gedreht“ (eine Erfahrung, an die er Jahrzehnte später in Matteo Garrones „Das Märchen der Märchen“ anknüpfen konnte) und als Chefkameramann der „Star Wars“-Fortsetzung „Das Imperium schlägt zurück“ ausgiebig Erfahrungen mit Spezialeffekten gesammelt. Das Aushalten von Widersprüchen ist Suschitzky seit seinem Filmstudium an der Pariser IDHEC vertraut: Während sich die Nouvelle Vague auf ihrem Höhepunkt als weltweit impulsgebender Bewegung stand, lernte er das Handwerk bei dem Stummfilmveteran Jean-Pierre Mundviller, der unter anderem an Abel Gance' „Napoleon“ mitgewirkt hatte.
Suschitzkys Selbstverständnis ist das eines eher intuitiven als technisch orientierten Kameramannes: Er kommt ohne vorgefasstes Bild an den Drehort, will flexibel auf dessen Atmosphäre, auf die Vorstellungen des Regisseurs und das Temperament der Darsteller reagieren. Eine derart erfahrungsgesättigte Offenheit hat stets die Gesamtheit des Films im Blick und will diesem nicht um jeden Preis seine eigene Handschrift aufdrücken. Das macht Peter Suschitzky zu einem idealen Komplizen. Die Filmgeschichte ist nicht eben arm an Konstellationen, bei denen Regisseure und Kameraleute sich über lange Zeit die Treue halten und eine gemeinsame Vision entwerfen: Man denke an Ingmar und Sven Nykvist, an Michail Kalatozow und Sergei Urussewsky oder Steven Spielberg und Janusz Kaminski. Die Verbindung Cronenberg-Suschitzky ist jedoch eine besondere, einzigartige Konjunktion. Bis zum 6. April feiert das Österreichische Filmmuseum (www.filmmuseum.at) sie mit einer vollständigen Retrospektive. Diese Art von Zusammenschau sollte Schule machen; vielleicht folgen auch hier zu Lande Kinematheken diesem Beispiel. Am 26. und 27. März kommt der Kameramann nach Wien, am Montagabend findet ein Werkstattgespräch statt, das Michael Omasta mit ihm führen wird.
Als Grundbedingung für seine Arbeit nennt Suschitzky die Glaubwürdigkeit dessen, auf das er durch den Sucher und die Kamera schaut. Das ist eine reizvolle Prämisse für die Phantasmagorien Cronenbergs. Sie operieren, oftmals parallel, auf vier Zeitebenen: nicht nur der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern auch außerhalb der Zeit. Suschitzkys größte Angst besteht darin, sich zu wiederholen. Die ist im Zusammenspiel mit Cronenberg offenkundig gebannt. Es herrscht gleichsam eine Harmonie der Widersprüche. Ein paar Impressionen: das harte Oberlicht in den Operationsszenen aus „Die Unzertrennlichen“; der gedämpfte Expressionismus, das raffinierte Spiel mit den Konventionen des Film noir in „Naked Lunch“; die metallene Zärtlichkeit von „Crash“; das öde, menschenleere London und das beklemmnde Streulicht, das in „Spider“ nichts aufhellt und nichts ganz im Dunkeln lässt, mithin visuell der Enge einer Depression entspricht; die intime Nähe zu den Figuren in „A History of Violence“ und die brüske Anschaulichkeit der Gewalt; die düstere Unterströmungen des urbanen Alltags in „Tödliche Versprechen“ (Eastern Promises); die anfangs hysterischen Weitwinkel sowie die klinische Sauberkeit der Kompositionen in „Eine dunkle Begierde“ (A Dangerous Method), die nur darauf wartet, beschmutzt zu werden.
In der von Marcus Stiglegger herausgegebenen Anthologie über den Regisseur, die 2011 im Verlag Bertz+Fischer erschienen ist, kann man viel über ihre Zusammenarbeit erfahren, vor allem in dem Beitrag „Hyperrealismus und Kälte“ von Marcel Baroin und Kai Naumann. Ich mag auch Nobert Grobs Urteil über „Spider“, den er den „radikalsten Schattenfilm des neuen Jahrtausends“ nennt. Zu dem Film habe ich eine besondere Beziehung, da ich für meine Rezension in der Wochenzeitung „Freitag“ den Preis für die „Visuelle Filmkritik 2004“ erhielt. Mein Text war aus einer gewissen Verlegenheit entstanden. Eigentlich hätte ich den Film gern noch ein zweites Mal gesehen, was dann aber nicht ging. Also schrieb ich ihn aus meinen atmosphärischen Erinnerungen heraus. (Im Archiv der Zeitung dürfte er noch aufzufinden sein, eine überarbeitete Fassung ist in dem oben erwähnten Conenberg-Buch erschienen.) Der Band ist fast noch aktuell, nur „Cosmopüolis“ und Maps to the stars“ fehlen. Seit 2014 haben Cronenberg und Suschitzky keinen neuen Film gemacht. Es wird höchste Zeit.
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