Schlampige menschliche Nähe

Viva Maria (1965)

Der Titel des Buches war ziemlich unwiderstehlich. Vor Jahrzehnten fiel es mir in der Stadtbücherei meiner Heimatstadt in die Hände. An Filmliteratur gab es da nicht besonders viel, weshalb ich sofort zugriff, obwohl ich den Film, um den es ging, erst viel später kennenlernte.

In der Stadtbücherei stand das Buch wohl hauptsächlich, weil sein Autor ein ehedem berühmter Humorist war. Gregor von Rezzoris »Maghrebinische Geschichten« waren schließlich ein enormer Bestseller in der BRD der Nachkriegszeit gewesen, deren Biederkeit ja viel Sinn hatte für bodenständigen Exotismus. Solche Fragen stellten sich meinem jüngeren Ich damals allerdings noch nicht, es ließ sich einfach von dem Titel »Die Toten auf ihre Plätze!« locken. Mit Louis Malles Werk war ich damals auch noch nicht recht vertraut, mit dem von Jeanne Moreau ebenso wenig. Filme mit Brigitte Bardot kannte ich ebenfalls noch nicht, ihre erotische Ausstrahlung konnte den pubertierenden Teenager nicht in den Bann schlagen. Kurioserweise sagte mir damals George Hamilton mehr – falls Sie sich noch an »Die Macht des Geldes« erinnern können, die erste TV-Miniserie überhaupt, werden Sie mir das das vielleicht nachsehen. Rezzori bedenkt ihn mit erlesener Ironie, aber alles in allem macht er keine unrühmliche Figur. Gleichviel, der Umstand, dass es ein Buch über die Dreharbeiten zu einem Film namens »Viva Maria« gab, war für mich ein Indiz für dessen Wichtigkeit. Die alte, gebundene Ausgabe, hatte noch eine Bildstrecke in der Mitte, die meine Neugier zusätzlich befeuerte.

Rezzori war ein eingebetteter Reporter. Malle, der sich mit ihm beim Dreh zu »Privatleben« angefreundet hatte, vertraute ihm die Nebenrolle eines Zauberkünstlers in dem Zirkus an, dessen Artisten in den Wirren einer lateinamerikanischen Revolution prächtige Abenteuer erleben. Sein Drehtagebuch sollte weltweit in Illustrierten erscheinen, die sich einen saftigen Zweikampf zwischen den beiden Diven erhofften. Sensationslüsterne Erwartungen erfüllt es hinreichend, aber nicht vollends – dafür changierten seine Plaudereien vermutlich zu ungezwungen zwischen feinsinnigem Boulevard und ausgefuchstem Feuilleton. Gefälligkeiten war er niemandem schuldig. Am Ende, als seine Artikel erschienen waren, war er der Paria am Set.

Vor einigen Wochen musste ich wieder an das Buch denken. Beim Buchhändler in meiner Nachbarschaft, in dessen Regale vergriffene und aktuelle Titel eine gedeihliche Koexistenz führen (ein Wirrsal, über das er sagenhaften Überblick behält), fand sich augenblicklich eine Taschenbuchausgabe aus den 90ern. Als Strandlektüre eignet es sich durchaus. Wenn nicht im Buchhandel, so ist doch im Netz mühelos antiquarisch daran zu kommen.

Als im Januar 1965 in Mexiko die Dreharbeiten zu »Viva Maria« begannen, stand eine Menge auf dem Spiel. Ein Kontinent soll erobert werden. Der Dreh der Abenteuerkomödie in Mexiko ist Ausdruck französischer Verwegenheit, dem Drang, das US-Kino auf seinem eigenen Terrain zu schlagen. Die Action-Szenen sollen alles in den Schatten stellen, was in Europa in dieser Disziplin bisher geleistet wurde. Das weltweite Medieninteresse ist enorm. Ständig werden Pressekonferenzen gegeben und die Drehorte von gnadenlosen Fotografen belagert. Jeanne Moreau wird für das Cover von »Time« fotografiert, sie soll in den USA zum Star aufgebaut werden, was Bardot zu zu diesem Zeitpunkt fast schon nicht mehr ist.

Gregor von Rezzori kommt als europäischer Kosmopolit nach Mexiko (»Wo wir gelandet waren, war der Balkan Amerikas.«), der mit blasiertem Erstaunen festhalten wird, was er in den nächsten Monaten dort erlebt. Seine Prosa ist geschliffen und kulturgesättigt, zuweilen gespreizt und spitzfindig. Sie macht die Wiederbegegnung mit seinen verwehten Geschichten zu einer Zeitreise, die noch weiter als 1965 zurückreicht. Er schreibt im lebhaft durchmischten Zungenschlag eines Mannes, der noch im Geist der K&K-Monarchie aufgewachsen ist. Was eine »Resche« ist und was sich hinter dem Verb »glosen« verbirgt, musste ich erst nachschlagen; ein »Gesäß von flämischer Breite« konnte ich mir hingegen bildlich vorstellen. Doch, doch, unfein kann er auch sein.

Von Rezzori hat viel Zeit totzuschlagen, denn der Dreh seiner wenigen Szenen liegt in unbestimmter Zukunft. Er ist zum Tagediebstahl verurteilt. Das ist ein Glück für den Leser, denn als Mann von Welt weiß er natürlich immer Kluges mit seiner Zeit anzufangen. Er besucht Kirchen und Stierkämpfe, isst mal gut und mal schlecht und verliert sich in Spekulationen über nationale Mentalitäten (»Mariachi ist die einzige Volksmusik ohne Sehnsucht.«). Auf Partys studiert er, wie sich im Team Hierarchien und exklusive Zirkel bilden, was nicht ohne Kränkungen und Eifersüchteleien vor sich geht. Zu seinen Aufgaben gehört es offensichtlich auch, seinen Lesern erst mal darzulegen, wie Filmdreharbeiten überhaupt ablaufen. Derlei expositorische Passagen liegen ihm auch. Die filmische Illusionsmaschinerie will durchschaut werden, er gibt sich als charmanter Entzauberer. Bei atmosphärischen Skizzen läuft er zu Form auf. Er ist Zaungast gesteigerter Intensität, ein traumverlorenes Pflichtgefühl hält ihn am Set fest, wo ihn die dort entstehende »schlampige menschliche Nähe« amüsiert. Die Verfügbarkeit, in der er und die anderen Nebendarsteller sich halten müssen, verändert die Wahrnehmung der Zeit. Sie befinden sich in einem Niemandsland der Zeit, einer eigenherrlichen, später stagnierenden Gegenwart. Der Tagebuchschreiber verliert den Kalender aus den Augen.

Doch, doch, auf Bardot und Moreau kommt er auch zu sprechen. Ganz so aufgeladen wie erhofft ist die Stimmung zwischen ihnen nicht. Eine erbitterte Rivalität mag nicht recht ausbrechen. Sie sind einander sogar ein bisschen egal. Die Konfrontation, zu der es von Rezzori irgendwie ja doch kommen lassen muss, ist eine der Aura und der Projektionen. Er tappt zunächst in die Klischeefalle (Bikini gegen Beseeltheit), entwickelt dann aber einen tiefenschärferen Blick auf ihre Persönlichkeiten. Bardot beschäftigt seine Phantasie mehr, auch jenseits ihrer erotischen Eloquenz, sie ist ihm vertrauter und bleibt ihm doch das größere Rätsel. Falls Sie gespannt sind auf den Film: Er läuft am 15. und 23. 8. im Nachmittagsprogramm auf arte. Ich würde ihn auch gern wiedersehen, bin dann aber auf Reisen. Nicht nach Mexiko, schade eigentlich.

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