Nicht alles versendet sich

Petra Castell

Sie hätte ohne Zweifel eine bessere Überschrift gefunden. Das Erfinden von Titeln ist eines ihrer großen Talente, von dem viele unserer gemeinsamen Sendungen profitierten. Auf Anhieb fällt mir die zum 125. Geburtstag des Eiffelturms ein: Meine Vorschläge waren nur mau, aber sie hatte augenblicklich den glänzenden Einfall, sie »Herausragend« zu nennen.

Diese Gabe hat Petra Castell, wie sie immer wieder herausstrich, im Tagesgeschäft des Zeitungsjournalismus gelernt. Nachdem sie 1979 beim Hörfunk des SFB anfing, kam es ihr ebenso zupass. Gegen die Überschrift dieses Eintrags würde sie gewiss Einspruch erheben, weil er nicht griffig und augenblicklich verständlich ist. »Das versendet sich schon« gehört zur Insidersprache bei Funk und Fernsehen, wenn einem in letzter Minute noch ein Fehler auffällt. Vielleicht hätte ich diesen Text doch besser mit »Das Lustprinzip« überschrieben. »Klangvoll« wäre noch kürzer und eingängiger und bestimmt ebenso richtig gewesen.

Petra ist eine der weitgehend unbesungenen Heldinnen des Kulturbetriebs: eine Radioredakteurin. Ihre Namen bleiben im Gegensatz zu denen ihren Kollegen aus Presse und Fernsehen unsichtbar. Gestern fand im Haus des Rundfunks in der Masurenallee ihre Abschiedsfeier statt; heute und morgen klingt ihre Zeit dort endgültig aus. Danach erfüllt sich der Berufswunsch, den sie in Kindertagen hegte, als sie ihre Großmutter regelmäßig zur Post begleitete, wo diese ihre Rente abholte. Ein paar Jahre später, so erzählte sie gestern Abend, wollte sie dann schon nicht mehr Rentner werden, sondern im Radio arbeiten. Schon als Schülerin war sie eine begeisterte Hörerin, gerade auch des Schulfunks. Dass man erst Journalist werden muss, um sich im Radio Gehör zu verschaffen, wusste sie damals noch nicht. Sie fand wunderschöne Worte dafür, wie sie sich fühlte, als sie in der Masurenallee anfing: »Meine Helden wurde nun meine Kollegen.« Über ihre erste Zeit im Sender wusste ich wenig. Manchmal war von einem legendären Interview mit dem damaligen Bürgermeister Walter Momper die Rede, den es spürbar verlegen machte, in eine Sendung zu Frauenthemen eingeladen zu werden. Ein paar ihrer frühen Eskapaden wurden gestern Abend eingespielt: Liveschaltungen zu ihr als Reporterin, die von der Eröffnung des Teltowkanals berichtet oder auch von einem Balken, der sich in einer Kulturinstitution (ich habe vergessen, wo es war) gelockert hatte. Eine Weggefährtin schilderte den Eindruck, den Petra damals machte: sehr temperamentvoll, von großer italienischer Eleganz; nicht nur, was ihre Kleidung betraf.

Ich bin ihr zu großem Dank verpflichtet, weshalb dieser Text auch ein wenig länger geraten wird. Wir lernten uns Anfang der 90er Jahre kennen, als ich meine ersten Gehversuche beim damaligen SFB machte. Einmal trafen wir uns zufällig an einem Samstagmorgen in Tegel, von wo aus wir beide nach Paris flogen – eine Stadt, die für unsere jeweilige Biographie und Weltanschauung von besonderer Bedeutung ist. In der Folge betreute sie redaktionell immer wieder kürzere Beiträge von mir. Intensiver wurde unsere Zusammenarbeit, als sie die Redaktion der Sendung »Kulturtermin« übernahm, die nun auf rbb kulturradio lief. Für mich begann damit eine großartige Zeit. Unsere Haltung zum Kino, unsere Interessen und Vorlieben überschnitten sich auf erfreulichste Weise. (»Auf einer Wellenlänge« hätte sich auch nicht schlecht gemacht als Überschrift.) In den letzten Tagen, nach dem Tod von Ettore Scola, gingen noch viele Mails zwischen uns hin und her. Sie liebt seine Filme sehr, besonders ihre Begeisterung für »Die Reise des Capitan Fracassa« ist mir in Erinnerung geblieben. Auf die Mail letzte habe ich noch gar nicht geantwortet. Darin schreibt sie, vermutlich würde er ihr so gut gefallen, weil seine Filme so theatral seien. Mein vorletzter Eintrag über das »Verdacht«-Hörkino geht auf eine Anregung von ihr zurück: Sie hatte schon im November eine Live-Aufführung in der »Bar jeder Vernunft« gesehen und mir die nächsten Termine genannt.

Ich glaube, wir ergänzten uns gut. Es ging immer um die Sache, um die gemeinsame Liebe zum Kino. Meist war sie offen für Themenvorschläge. Aber die besten Ideen stammten in aller Regel von ihr. Nur selten wurde aus unseren Plänen nichts (obwohl sie nicht nur für das Kino, sondern auch fürs Theater im »Kulturtermin« zuständig war, was sie nie zu kurz kommen lassen wollte). Einmal traf es sich, dass der 100. Geburtstag von David Lean und Helmut Käutner auf den gleichen Termin fiel und sie dann doch den deutschen Regisseur vorzog. Im Gegenzug musste ich sie überzeugen, dass es geeignetere Autoren als mich für Fritz Kortner gäbe. Aber als wir beispielsweise eine Sendung zum 100. von James Mason aus Termingründen nicht unterbringen konnten, zauberte sie kurzerhand das Jubiläum seines 30. Todestages aus dem Hut hervor. Dabei musste man sich bei Sendungen für sie nicht unbedingt an Kalenderblätter und aktuelle Anlässe halten. Sie hatte auch Lust, mal eine Sendung über den Filmschnitt, Weltausstellungen und Hotels im Kino oder Pariser Stiftungen zu machen, die das Filmerbe von Charlie Chaplin oder von Pathé pflegen. Das waren mitunter langgehegte Projekte. Als vor ein paar Wochen auf »arte« Kent Jones' Film über das Interviewbuch von Hitchcock und Truffaut lief, durften wir feststellen, dass wir ihm ein paar Jahre zuvorgekommen waren. Bei all unseren Sendungen konnte ich von ihrem Wissensvorsprung profitieren, der sich allerdings nie in Besserwisserei äußerte, sondern in einer eben schon ein paar Jahre länger gelebten Begeisterung für einen Filmkünstler oder ein Thema manifestierte. Wäre ich nicht ein so miserabler Sprecher meiner eigenen Texte, hätte unsere Ehrenrettung der Commedia all'italiana vielleicht unsere beste Sendung werden können. Danach empfahl sie mir mit großem Taktgefühl (und zu meiner noch größeren Erleichterung), statt dessen professionelle Sprecherinnen zu verpflichten.

Ich fürchte, mit meinem Hang zur späten Manuskriptabgabe habe ich sie oft in ziemliche Bedrängnis gebracht. Aber gerade da zeigte sich eine weitere Gabe Petras: Auch wenn die Regie und die Sprecher schon ungeduldig warteten, nahm sie sich ungeheuer viel Zeit für die Arbeit am Text. Ihre Sorgfalt und Akribie waren bewundernswert. Ihr Gestus dabei war stets ein gewährender. Selten griff sie grundlegend in die Manuskripte ein (Kunststück, angesichts der tickenden Uhr konnte ich keinen komplett neuen Text verfassen), sondern feilte lange an der besseren, klareren Formulierung. Den Satz »Das versendet sich schon« habe ich aus ihrem Mund nie gehört. Dieser Luxus der präzisen Arbeit am Text, wenn es denn einer ist, scheint in den Printmedien kaum je möglich. Als Autor konnte ich dabei viel lernen, denn sie hatte stets die Hörer im Blick. Unsere Zusammenarbeit wird mir fehlen, unser Austausch aber hoffentlich weitergehen. Ich nehme an, mit ihrem Nachfolger könnte es ebenso gut werden. Er erweckt den Eindruck, ein freundlicher, offener und neugieriger Redakteur zu sein. Ein kleines »aber« liegt mir dennoch auf den Lippen, das nichts mit ihm, sondern alles mit ihr zu tun hat.

Meinung zum Thema

Kommentare

Vielen Dank! Das trifft meine Erfahrungen mit Petra zu 100%. Insofern haben Sie auch für mich und alle gesprochen, die die wundervolle Zusammenarbeit mit Petra erleben durften.

Herzlichst

Friedenmann Beyer

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