Das Vier-Augen-Komitee
Es ist ein großes, aber wohl lösbares Rätsel, wie sich Co-Regisseure die Arbeit untereinander aufteilen. Diese Frage stellt sich übrigens oft, denn seit den Brüdern Lumière hat die Filmgeschichte schließlich eine stattliche Anzahl von Regie-Tandems hervorgebracht. Von Emeric Pressburger ist bekannt, dass er für das Drehbuch verantwortlich zeichnete und sein Partner Michael Powell für die Inszenierung. Bei den Coen-Brüdern scheint es sich ähnlich zu verhalten. Die Dardennes hingegen lassen sich in diesem Punkt, das ist jedenfalls meine Interviewerfahrung, nicht so einfach in die Karten schauen. Für sie ist vor allem entscheidend, dass sie den selben Film machen wollen.
Das Modell funktioniert in der Regel überraschend gut, wie die Karrieren der Brüder Taviani und Hughes oder der Wachowski-Geschwister zeigen. Man kann hierzu einige vernünftige Spekulationen anstellen. Vermutlich teilen viele Duos die Arbeit zwischen Bildgestaltung und Schauspielerführung auf. Das hängt gewiss vom Temperament, von unterschiedlichen Stärken und Interessen ab, muss aber nicht unbedingt auf eine strikte Trennung der Zuständigkeiten hinauslaufen.
Wie aber könnte die Arbeitsteilung bei Fotografen aussehen? Diese Frage verfolgt mich, seit ich auf das britische Künstlerduo Anderson & Low gestoßen bin. Das bei Hatje Cantz erschienene Buch mit Fotografien, die sie auf den Sets des letzten Bond-Films »Spectre« aufgenommen haben, harrt seit Wochen der Besprechung. Es sind keine konventionellen Standfotografien von den Dreharbeiten, sondern Porträts der Dekors. Aber davon später mehr.
Seit ich in der Berliner Galerie Camera Work eine Ausstellung mit ihren Arbeiten besuchte, intrigiert mich das Problem der doppelten Urheberschaft nur noch mehr. Eine Internetrecherche erbrachte immerhin, dass Beide vom Tragen der Ausrüstung chronische Rückenschmerzen haben. Natürlich legte ich mir Antworten zurecht – eine Aufsplittung zwischen Konzept und Ausführung wäre denkbar oder zwischen Lichtsetzung und Kadrierung; vielleicht liegt einem von ihnen die Arbeit in der Dunkelkammer mehr. Wirklich zufrieden stellte mich keine dieser Mutmaßungen. Es half nichts, ich musste es genau wissen – nicht zuletzt, um eine lässliche Schreibblockade zu überwinden.
Also nahm ich Kontakt zu ihnen auf. Aus dem Manöver, das Schreiben der Kritik hinauszuzögern, entstand ein reger Dialog per Mail. Sie seien gerade mit einem Projekt beschäftigt, schrieben sie wenige Stunden nach meiner Anfrage, und hätten nur sporadisch Internetzugang, würden mir in zwei, drei Tagen aber ausführlich antworten. Ihre Antwort hatten sie zu nachtschlafener Zeit abgeschickt, weshalb ich sie auf einem anderen Kontinent vermutete. Sämtliche Mails waren mit beider Namen unterzeichnet. Die ausführliche Antwort kam früher als versprochen. Sie vergrößerte das Rätsel noch. »Es gibt keine Arbeitsteilung«, schrieben Jonathan Anderson und Edwin Low, »jeder Schritt, von der Konzeption über das Shooting bis zur Nachproduktion, ist eine Gemeinschaftsarbeit. Das ist ein sehr organischer Prozess, der sich in 25 Jahren nicht geändert hat.«
Ich hatte Schnittstellen erwartet, an denen der eine den anderen kreativ weiterdenkt. Aber sie bestanden auf einem Ineinandergreifen, einer unlösbaren Einheit. Die Berliner Werkschau dieser zweieinhalb gemeinsamen Jahrzehnte trug einen gescheiten Titel: »Welcome to the World of Anderson & Low«. Ihre Fotografien erschaffen eine eigene Realität. In ihrem Zyklus über die dänische Gymnastikmannschaft, die sich auf eine Olympiade vorbereitet, hebeln die Kadrierungen die Schwerkraft nachgerade aus. In einer anderen Serie verwandeln sich Treppen in abstrakte Strukturen. Übrigens: Wer ihre Arbeiten sammelt, sollte tiefe Taschen haben. Sie verlangen erkleckliche Summen, und das nicht nur für Großformate.
Die Ausstellung offenbarte eine immense Vielfalt der Interessen und Ausdrucksformen. Eine ihrer ersten Arbeiten, eine Serie von Wolkenkratzern im Nebel, demonstriert ein selbstbewusstes Tasten. Architektur interessiert sie anscheinend schon früh; weniger in Bezug auf das Ambiente, sondern als Spielfeld des Lichteinfalls. Die Aktstudien waren dunkler, undurchdringbarer, als sie auf der Website der Galerie wirken. Ihre Reflexionen über die Bilderwelt der Mangas muten wie fotorealistische Gemälde an. Deren Ikonografie schlug sich übrigens nieder in der Plakatkampagne, die sie für die »Star Wars«- Episode vom letzten Jahr gestalteten. Im Verlauf der Schau verstand ich immer besser, weshalb sich die Bond-Produzenten für sie interessierten (anscheinend wirkten sie schon an »Skyfall« mit). Den monochromen Ansichten der Houses of Parliament und des Millenium Wheel in London eignet eine erstaunliche Überzeitlichkeit, sie wirken, als seien sie in Stil und Technik der ganz frühen Fotografie aufgenommen. Dieses Schillern zwischen den Epochen findet sich im Bond-Zyklus beispielsweise in den Aufnahmen der Werkstatt wieder, wo Q futuristische Gadgets im Ambiente ausgedienter Industriearchitektur entwickelt.
Anderson & Low haben ein Faible fürs Monumentale, Lust an der Überwältigung; sowohl passiv wie aktiv. Das trifft sich mit der Schauwerte-Dramaturgie der Bond-Filme. Aber es gibt noch eine intimere Verbindung zu ihren vorherigen Arbeiten. »Eines unseren zentralen Themen ist Vorbereitung«, erklären sie. Das gilt für ihre Porträts von Sportlern und Soldaten ebenso wie für die Sets in den Pinewood-Studios: Sie sind gewappnet für das Schauspiel, das sich in ihnen zutragen soll. Wenn ich vorhin diese Bilder dem Gattungsbegriff des Porträts zuordnete, mag das im ersten Moment verblüffen. Tatsächlich aber genügen sie ihm: Ihre Tableaus spüren Wesen und Persönlichkeit des Dargestellten nach. Sie folgen gleichsam der Entdeckung Bonds, was sich hinter »L'Américain« verbirgt: »It's not a person, it's a place.«
Ihnen gelingt der Balanceakt, die Illusionsmaschinerie zu zeigen, ohne die Aura der Schauwerte zu entzaubern. In dieser Kulissenwelt lenken sie die Aufmerksamkeit auf Feinheiten, die man beim Tempo des Films schlicht übersieht. »Wir versuchen stets, zugleich das große Ganze und das bezeichnende Detail im Blick zu behalten«, erläutern sie ihre Arbeitsweise, »und im besten Fall sagen die Bilder etwas mehr aus, als unser Konzept vorsah.« Dabei hat man den Eindruck, dass sie nichts dem Zufall überlassen. Die Welt von Anderson & Low wirkt genau abgezirkelt, als gebe es für jedes Bild ein Storyboard, das umgesetzt wird. Aber sie beschreiben ihre Arbeit als Weg mit offenem Ziel. Die Unberechenbarkeit ihrer Themenwahl bestätigt das. »Ja, wir muten unsere Rücken viel zu, während wir unseren künstlerischen Traum verfolgten«, schreiben sie in ihrer letzten Mail, »aber das war bislang eine so unglaubliche Reise, dass wir diesen Preis gern bezahlen.«
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