Beseelt von der Kraft der Liebe

»Hedi« (2016). © NOMADIS IMAGES-LES FILMS DU FLEUVE–TANIT FILMS

Während der Berlinale steigert sich meine Neugierde auf das, was Kollegen denken und schreiben, noch einmal besonders. Es erscheint mir eine Spur unentbehrlicher zu wissen, welchen Reim sie sich auf das Ganze machen. Mein Arbeitstag beginnt mit einem zugegebenermaßen flüchtigen Multitasking: Während ich im Netz die Feuilletons überfliege, läuft die frühmorgendliche Wiederholung der »kulturzeit« auf 3sat und danach das öffentlich-rechtliche Frühstücksfernsehen. Nach diesem Pensum, das sich praktischerweise vor der ersten Wettbewerbsvorführung um 9 Uhr bewältigen lässt, fühle ich mich unbedingt bestens informiert, aber prächtig eingestimmt.

Die Hauptaufgabe der Berlinale-Korrespondenten von ARD und ZDF scheint darin zu bestehen, gute Laune zu verbreiten. Fast beneide ich sie um ihren Wissensvorsprung: Während die Berlinale für unsereins aus einer Kaskade mehr oder weniger gelungener Filmen besteht, verlieren die Fernsehleute nie aus den Augen, dass es sich dabei um ein Fest handelt, dass gebührlich gefeiert werden will. Sie demonstrieren einen unfehlbaren Elan, alles in Gold zu verwandeln. Nicht einmal ein Durchhänger wie »Alone in Berlin« bringt sie in Verlegenheit. Ihre Berichterstattung setzt demonstrativ auch den deutschen Film in sein Recht, an dessen Produktion die Sender nicht selten beteiligt sind und der im Ausland so sträflich ignoriert wird. Verblüfft hat mich in diesem Jahr allerdings der Aufwand, den die ARD betrieb. Obwohl sie nur zwei Tage berichtete, ließ sie es sich nicht nehmen, mit Anke Engelke eine prominente und gewiss nicht billige Reporterin zu engagieren und mir ihr auch noch einen endlosen Vorspann zu produzieren (in einem Format, welches auf die Sekunde genau plant), wo sie im Bärenkostüm durch die schönen Waldlandschaften Brandenburgs tollen darf. Stört es eigentlich niemanden, dass Engelke die Eröffnungs- und Abschlussgala moderiert und mit ihr gewissermaßen eine Komplizin als Zeugin aufgerufen wird?

Das putzige Schauspiel, wie sich gestandene Moderatorinnen in Backfische verwandeln, sobald Bilder von George Clooney auf dem Roten Teppich eingeblendet werden, gehört zur Folklore solcher Infotainment-Formate. Allerdings verschlug es mich auch als »kulturzeit«-Seher in ein Paralleluniversum der Verzückung. Während der Endreim der Gespräche mit Kollegen nach den Wettbewerbsfilmen meist Ratlosigkeit oder Verzagtheit waren, schallte einem von 3sat umarmender Enthusiasmus entgegen. Das mag mediale Gründe haben: Im Fernsehen lassen sich womöglich Filme besser vermitteln, die ihre Absichten deutlich zu erkennen geben. Den meisten Berichten war mithin der Stolz anzumerken, die Botschaften verstanden zu haben. Welches Glück also für den tunesischen Wettbewerbsbeitrag »Hedi«, dass er auch als Allegorie auf den Aufbruch Tunesiens lesbar ist. Andernfalls wäre mit ihm wohl kein Staat zu machen. Die Perspektive war eine weitgehend inhaltistische; die Begeisterung entzündete sich an Themen (so viele Filme über Flüchtlinge!) und der rechten Gesinnung der Filmemacher. Für mich offenbart sich darin eine Geringschätzung des Kinos, wenn man es nur als Vehikel für Botschaften begreift. Die Kommentare verrieten ein dementsprechend ungebrochenes Zutrauen zu Floskeln und Gemeinplätzen. Da wurden Filme gepriesen, die unbeirrt von unseren alten, beinahe vergessenen Freunden »Nähe und Distanz« erzählen. Dass sich »Hedi« »beseelt von der Kraft der Liebe« emanzipiert, ist eine Formulierung, die ich im 21. Jahrhundert nicht einmal mehr im Poesiealbum einer Zwölfjährigen erwartet hätte.

Wer den Wert von Filmen an ihrem Reflex auf die Nachrichtenrealität bemisst, ist ästhetisch höchstens für die »dokumentarische Genauigkeit« empfänglich, mit der sie die »ungeschützte Wirklichkeit« darstellen. Wie könnte sie dies sein, wo sie doch durch den Blick einer Kamera gefiltert wird? Wo so bedenkenlos einem durchaus fragwürdigen Verismus das Wort geredet wird, kann natürlich auch der deutsche Beitrag »24 Wochen« aufgewertet werden, der naiv der Schimäre der Authentizität nachjagt, in dem er Laiendarsteller und Profis gemeinsam improvisieren lässt. So etwas muss einfach gut sein, weil es »aus dem Bauch heraus« gefilmt wurde. Der sonntägliche Abschlussbericht auf 3sat schließlich sekundierte brav den Juryentscheidungen, von denen einige sogar »«mehr als verdient»« waren. Gern hätte ich erfahren, worin dieses »mehr« wohl bestehen könnte, und ob es überhaupt erforderlich wäre.

Dass ein Preis nicht nur ein Preis ist, wurde allerdings schon in der Nachbereitung der Bärengala am Samstagabend deutlich. Wollte man der Moderatorin Tina Mendelsohn folgen, trug der vom Festivalleiter Dieter Kosslick angeschlagene »dezente« Ton üppige Früchte. Mal abgesehen davon, dass mir diese Vokabel zur Programmpolitik der unverwüstlichen Frohnatur nicht eingefallen wäre, feierte an diesem Abend das Weltverbesserungskino tatsächlich rauschende Triumphe. »Man lernte dauernd dazu, man schaute in die Welt,« resümierte Frau Mendelsohn emphatisch die letzten zehn Tage. Die »Zeit«-Kritikerin Katja Nicodemus, deren gedankliche Klarheit und Formulierungsstärke ich ansonsten sehr schätze, konnte dem als Dauergast der Sendung nur beipflichten. Sie hatte eine »große cineastische Unbedingtheit« erlebt (da schien es wieder auf, das glückliche Paralleluniversum), gestattete sich mitunter indes auch ein heroisches Zögern. Gegen die ekstatische Stimmung, die nach der Preisvergabe herrschte, war allerdings kein Kraut gewachsen. Wiederum, und glanzvoller denn je hatte sich erwiesen, dass die politische Erregbarkeit das wahre Herz der Berlinale ist. Und überdies durften wir noch so viele »große, große Frauenrolle« auf der Leinwand verkörpert sehen!

Die Verzückung erreichte ungekannte Siedegrade, es war kein Halten im Taumel der eigenen Begeisterungsfähigkeit. Wie erhebend muss es sein, als Berichterstatter Teil zu sein von diesem Fest humanistischen Großtaten. Die bloße Anwesenheit im Berlinalepalast war ja schon ruhmreich. »Ein so wichtiger Film«, stammelte die Moderatorin im Gespräch mit Gianfranco Rosi, dem Regisseur des Siegerfilms »Foucoammare«, »vielen Dank, dass Sie gewonnen haben!« (Sie hat es tatsächlich gesagt, ich hab es am nächsten Morgen in der Mediathek noch einmal überprüft.) Ihr Urteil, dies sei auch ein »cineastisch sehr bewegender Film«, entfuhr ihr als beiläufiger Nachgedanke. So kann es einem ergehen, wenn man wie Frau Mendelsohn von »einer besonderen Berlinale in besonderen Zeiten« berichten darf. Mir persönlich hätte eine gute schon genügt.

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