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Trickfilm von Lotte Reiniger

Der Internetauftritt der »Filmgalerie«, einer der wenigen verbliebenen Programm-Videotheken in Berlin, begrüßt die Besucher auf eine Weise, die dem Firmenmotto »für Menschen, die Filme lieben« alle Ehre macht. Im täglichen Wechsel erinnert die Seite daran, wer vor soundso vielen Jahren geboren wurde oder gestorben ist.

Da finden sich berühmte und weniger berühmte Künstler aus unterschiedlichen Gewerken und Kinematographien in seltener Eintracht wieder. Heute ist zum Beispiel zu erfahren, dass der Schauspieler Dennis Haysbert 62 Jahren wird, der Synchronsprecher Thomas Danneberg zwölf Jahre älter ist und der Komponist Marvin Hamlisch seinen 72 Geburtstag hätte feiern können. Leider ist er schon vor ein paar Jahren gestorben, ebenso wie der Kameramann John Alton (vor 20 Jahren) oder Rex Harrison (vor 26 Jahren). Oft kommt es vor, dass ich die Seite einfach wegen des Kalenderblattes besuche. Auf meine naive Frage, wer sich denn jeden Tag eine solche cinéphile Mühe machen würde, antwortete mir der Besitzer Silvio Neubauer einmal, das erledige ein Suchprogramm, das ein befreundeter Wissenschaftler (in Leipzig, glaube ich) entwickelt habe.

Die Vorliebe für unrunde Geburtstage verbindet die Videothek mit den Betreibern einer etwas größeren Suchmaschine, Google. Zuweilen lohnt es sich aufzupassen, wem dort gerade mit einem doodle gratuliert wird. Vor einigen Jahren hätte ich beinahe den schönen Trickfilm verpasst, der dem Designer und Vorspannkünstler Saul Bass gewidmet war. Er war ungemein phantasievoll und aufwändig (an Geld fehlt es ja nicht) gestaltet. Ebenso liebevoll gedenkt die Suchmaschine nun Lotte Reiniger, der vor 117 Jahren in Charlottenburg geborenen Pionierin des Animationsfilms. Ihre Scherenschnitt-Interpretationen von Märchen aus aller Welt sind Klassiker – allen voran »Die Abenteuer des Prinzen Achmed«, der als der erste abendfüllende Trickfilm überhaupt gilt und den sie zwischen 1923 und 1926 mit Hilfe von Walter Ruttmann und ihrem Ehemann Carl Koch aus rund einer Viertelmillion Einzelaufnahmen in einer Garage in Potsdam komponierte. Ihren ersten Kurzfilm drehte die Frau, die von sich sagte, sie glaube mehr an Märchen als an Zeitungen, im stolzen Alter von 17 Jahren. Im Google doodle tritt sie selbst als Silhouette in Erscheinung, wird anfangs bei der Arbeit an einem Scherenschnitt gezeigt, betritt sodann die Szenerien einiger ihrer Filme, um am Ende von ihren Kreationen umringt zu werden.

Eine Allegorie auf ihre eigene Arbeit hat sie selbst elegant in den Beginn des »Prinzen Achmed« einfließen lassen. Dort lässt sie einen afrikanischen Zauberer aus abstrakten Formen Figuren erschaffen. Inspiriert von der alten chinesischen Tradition des Schattenspiels hat sie den Silhouettenfilm zu einer vielseitig ausdrucksstarken Gattung entwickelt, in der Experimental- und Erzählkino eine verblüffende Allianz eingehen. Die Grundbedingungen des Mediums, Licht und Schatten, muss sie in ihren Filmen umkehren. Denn die Körper können im Scherenschnitt nur als Schatten existieren, die große Herausforderung besteht darin, hellen Figuren Gestalt zu verleihen. Ihre Figuren hat sie aus Karton ausgeschnitten und mit Bleigelenken fixiert, als szenischer Hintergrund diente ihr transparentes Pauspapier. Die Zeichnung der Figuren erfüllt sich im Typischen, Markanten. Vielleicht hat sie deshalb ein besonderes Faible für das wiedererkennbar Exotische gehabt. Bei dieser Arbeitstechnik ist jede Bewegung bereits Verwandlung; nicht von ungefähr spielt die Metamorphose eine zentrale Rolle in ihren Erzählungen.

Das Filmmuseum Frankfurt hat sich seit den 60er Jahren um die Wiederentdeckung der ins Exil geflohenen Künstlerin verdient gemacht. Ihr Nachlass befand sich in der Obhut eines Pfarrers aus Dettenhausen, der ein Faible für Schattenspiele hatte. Das Stadtmuseum im nahegelegenen Tübingen richtete 1994 zusammen mit den Französischen Filmtagen eine offenbar sehr schöne Ausstellung über Reinigers Freundschaft mit Jean Renoir aus. Das Büchlein, das dazu in der leider verschwundenen Zeitschrift »CICIM« erschien, gehört zu den Schätzen meiner Bibliothek. Zahlreiche der noch erhaltenen Filme Reinigers (ein Drittel gilt als verschollen) sind in einer fabelhaften DVD-Edition des Frankfurter Filmmuseums bei absolut medien erschienen. Ich glaube, auch Silvio Neubauer schätzt sie. Kurios, dass Reinigers Name heute auf der Seite der »Filmgalerie« fehlt. Manchmal machen auch Suchmaschinen Fehler.

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