Eine Welt für sich

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Wer Reiseführern vertraut, lässt sich auf ein Glücksspiel ein. Der Radius der Autoren ist in der Regel begrenzt. Natürlich haben sie weder die Zeit noch Energie, das Reiseziel in Gänze zu erkunden. Ihre Empfehlungen sind Zufall, Mundpropaganda oder Moden geschuldet. Wer weiß, welche Sehenswürdigkeiten ihren Lesern deshalb vorenthalten bleiben?

Mit dem Internet ist die Suche nach Entdeckungen demokratischer geworden, aber nicht unbedingt zuverlässiger. Auf dem Reiseportal "Trip Advisor" etwa machte vor einiger Zeit ein Hotel Furore, das zwar in einem sehr entlegenen Land namens Zubrowka liegt, aber dennoch viele Neugierige anzog. Ausführlich berichteten sie über ihre dortigen Erlebnisse. Sie lobten es in höchsten Tönen. Einem Gast wurden seine Juwelen gestohlen, aber sonst sei es ein schöner Aufenthalt gewesen. Ein anderer erzählt, dass im Nebenzimmer die Leiche einer Dame gefunden wurde und der Concierge in Verdacht geriet. Nachdem sich einige Dutzend Erfahrungsberichte angesammelt hatten, sah sich das Portal gezwungen, eine Warnung auszusprechen: "Versuchen Sie bloß nicht, hier zu reservieren! Dieses Etablissement existiert nicht in Wirklichkeit, sondern nur in der Phantasie eines Filmregisseurs!" Schade eigentlich, denn wer von uns wäre nicht gern einmal in »The Grand Budapest Hotel« abgestiegen?

Hotels sind ein unverzichtbares Dekor der Filmgeschichte. Sie sind die ideale Kulisse für das Drama und die Komödie der menschlichen Leidenschaften. Im Kino spielte das Hotel von Anfang an eine Hauptrolle. Die größten Regisseure und Stars haben sich in sein Gästebuch eintragen. Als offener, durchlässiger Mikrokosmos steht es für jedes Genre offen. Es ist ein Ort des Transits, der Flüchtigkeit. Es gibt ein Versprechen auf Leichtsinn und Luxus aus, ist die Domäne der Hochstapler und Zuflucht der Entwurzelten. Im Kino ist es immer mehr als nur eine Unterkunft. Es dient als Spielfeld von Schein und Sein, der schicksalhaften Begegnungen oder romantischen Neuanfänge. Das pralle soziale Leben bildet im besten Fall die Gesellschaft der jeweiligen Entstehungszeit ab; der filmischen Moderne (Antonioni, Bergman, Resnais) dient es als Terrain der Entfremdung. Bei Lubitsch (»Ärger im Paradis«, »Ninotschka«) fungiert es als Domäne raffinierter, verführerischer Leichtlebigkeit, bei Hitchcock finden an ihm Identitätswechsel statt, (»Vertigo«, »Psycho«) und bei Wilder (»Liebe am Nachmittag«, »Avanti, Avanti«) herrscht in ihm befreiende Amoralität. Eigentlich ist das Funktionieren des Hotelbetriebs auch eine Allegorie auf das Filmemachen selbst, was Jerry Lewis' oder Wes Andersons Blicke hinter die Kulissen von Grand Hotels beflügelt.

Ich habe ein so großes Faible für diesen Kinoort, dass ich im letzten Jahr ein Radiofeature darüber verfasst habe (das aber wohl nicht mehr online bei rbb kulturradio greifbar ist). Er fasziniert mich, weil sich an ihm die Welt auf begrenztem Raum zusammenfindet. Das Hotel hat in dieser Hinsicht nur ganz wenig Konkurrenz: Bahnhöfe, Flughäfen, Kaufhäuser und Weltausstellungen. Mithin würde ich wahnsinnig gern das diesjährige cinefest im Hamburger Kino Metropolis besuchen (wenn mich nicht die Arbeit an einem anderen Radiomanuskript über einen weiteren Kinoort mit Wehmutspotenzial an den Schreibtisch fesselte, die Videothek). Das Festival des deutschen Filmerbes widmet sich in bewährter Gründlichkeit dem Thema "Menschen im Hotel. Filmische Begegnungen in begrenzten Räumen". Offiziell beginnt es erst morgen (14.11.), heute Abend jedoch findet ein warm-up statt, bei dem aus Michael Glawoggers posthum erschienenem Roman "69 Hotelzimmer" gelesen wird und die Möglichkeit besteht, vorab schon einmal die Begleitausstellung zu besichtigen. Das Festival dauert bis zum 22. November, Informationen finden Sie hier: www.cinefest.de.

Das Programm versammelt einige Klassiker - »Letztes Jahr in Marienbad«, »Der letzte Mann« (in zwei Versionen, wobei das Tonfilmremake mit Hans Albers nicht ganz so klassisch geraten ist), »The Shining«-, aber auch reizvolle Trouvaillen (ein britischer Exilfilm mit Conrad Veidt sowie tschechische und DEFA-Produktionen) und streift verwandte Schauplätze wie die Pension (in der stets noch drangvollere Enge herrscht, siehe Robert Siodmaks »Abschied«). Die Filmauswahl beschränkt sich nicht auf das deutschsprachige Repertoire, wobei der Schauplatz ohnehin eine gewisse Internationalität der Besetzung nahelegt: Michèle Morgan ist noch meine liebste Erinnerung an die deutsche Neuverfilmung von Vicki Baums »Menschen im Hotel«. »Hotel Berlin«, der den Roman 1945 für die Kriegszeit aktualisiert, bildet gleichsam das rissige Bindeglied in dieser Stoffgeschichte zwischen dem Garbo-Film und der Neuauflage mit Heinz Rühmann und O.W.Fischer. Das Fehlen von »Tod in Venedig« kann ich mir nicht ganz erklären. Im Rahmenprogramm hätte mich besonders eine Diskussion am 18. November interessiert, in der Szenenbildner über gebaute Illusionen sprechen: »Architektur des Augenblicks«. Besonders ans Herz legen will ich Ihnen »Brennendes Geheimnis«, eine fesche Zweig-Adaption mit Willi Forst sowie »Fräulein Else« von Paul Czinner, von dem ich bereits am 23. Mai letzten Jahres im Eintrag "Treuhänderisch" schwärmte. Vorausgesetzt, Sie schenken meinen Empfehlungen mehr Vertrauen als Reiseportalen.

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