Aufgeweckt

»Star Wars: Das Erwachen der Macht« (2015)

Glauben Sie mir: Es führt ein Weg an ihr vorbei. Sie können ihr zwar nicht entkommen, sie scheint allmächtig, verfolgt Sie auf Schritt und Tritt. Nicht einmal die goldenen Worte von Sam Goldwyn, sie nicht zu beachten, ja nicht einmal zu ignorieren, versprechen Abhilfe. Eine solch tyrannische Okkupation der Öffentlichkeit ist keine Aufforderung mehr, sondern ein Imperativ. Verzagen Sie dennoch nicht. So inständig der Disney-Konzern Sie auch bittet, Sie müssen sich der erwachenden Macht nicht beugen.  

Heute Mittag fand die Pressevorführung statt. Das war, glaube ich, weltweit so. Ich habe sie weder verpasst noch boykottiert. Sie interessierte mich schlichtweg nicht. Ist das Ketzerei? Mein cinéphiles Gewissen ist ruhig, denn statt dessen sah ich mir zwei Stummfilmgrotesken mit Harold Lloyd an (ein kurzer Text, aber ein großer Spaß). Gewiss, die unentrinnbare Hysterie um den Film zerrt seit Wochen an meinen Nerven. Wenn der Film mich aus irgendeinem Grund gereizt hätte, wäre ich sogar gegangen. War aber nicht der Fall. Das ist ein Privileg freier Autoren, die im Gegensatz zu Redakteuren nicht bei jedem unumgänglichen Ereignis ihre vermeintliche Pflicht erfüllen müssen. Es fragt sich, wem gegenüber: ihren Lesern, den übergeordneten Redakteuren, dem dem Film oder dessen Verleih? 

Der erste »Star Wars« ist in die Filmgeschichte eingegangen als der erste Film, den man sich nicht unbedingt anschaute, weil man es wollte, sondern weil man das Gefühl hatte, es sei eine sträfliche Unterlassung, nicht an diesem Phänomen teilzuhaben. Eine solche Ausstrahlung hatte zuvor nicht einmal »Der weiße Hai«. Auch ich stand damals selbstverständlich mit Freunden in der langen Schlange vor dem Bielefelder "Astoria". Gefallen hat er mir schon, aber viel gegeben nicht. Keiner der epochalen Dialogsätze hatte für mich je einen mythischen Klang. Die ersten zwei Fortsetzungen habe ich mir erst Jahre später nachträglich auf Video angesehen (im falschen Format, was natürlich keine Genugtuung war), weil ich ihren Drehbuchautor Lawrence Kasdan porträtieren wollte, der unterdessen längst ein viel interessanterer Regisseur geworden war. »The Pantom Menace« schaute ich mir in der Pressevorführung an und fragte mich beim Verfolgen des Abspannes eigentlich nur, weshalb dort Italien als Drehort auftauchte, obwohl man doch alle Szenerien bequem im Computer hätte generieren können. Ein glühender Fan hatte mir zuvor stolz berichtet, er habe ihn schon illegal im Netz gesehen (was damals noch eine seltene Ruhmestat war) und ich spürte, dass er reichlich enttäuscht war, sich dies aber nie eingestehen würde. Der ganze Trubel kommt prächtig ohne mich aus. 

Dem Marketing und den Vorberichten zur siebten Episode konnte ich natürlich nicht entrinnen. Diese Aufwallung dominiert fast alle Seiten, die ich täglich im Netz besuche. Auf der Website von »Le Figaro« musste ich zeitweilig ewig herunter scrollen, um mal einen Artikel zu finden, der sich nicht um die erwachende Macht drehte. Einer stellte die bange Frage, was wäre, wenn der Film am Ende gar nicht so gut wäre. Er wurde von allen wahrscheinlich am seltensten angeklickt. Der Verleih hat sämtliche Publicity bekommen, die in diesem Universum vorstellbar ist. Die nachrückenden Jungdarsteller gaben zu Protokoll, sie hätten Tränen in den Augen gehabt, als sie den fertigen Film sahen. Selbst George Lucas gefiel er, was einen wahrhaft verblüffenden Nachrichtenwert besitzt. Ob bald wohl beherzten Paparazzi der Scoop glücken wird, ihn beim nächsten Bankbesuch mit einem Lächeln im Gesicht zu ertappen?

Während das globale Einspielergebnis eine ausgemachte Sache ist, stellt die Filmkritik gleichwohl einen gewissen Risikofaktor dar. Der ist eine zwar nachrangige Sorge, verlangt aus Sicht des Verleihs aber dennoch eine gewisse Vorsicht. Da ich nicht bei der Pressevorführung war, weiß ich nicht, was für Schwüre meine Kollegen vor Betreten des Kinos leisten mussten. Dass sich Journalisten vor Vorführungen strengeren Sicherheitskontrollen unterziehen müssen als mögliche Terroristen am Flughafen, gehört mittlerweile zur Folklore unseres Berufsstandes. Man unterwirft sich Embargos und anderen Methoden der Gleichschaltung, auf die enorm viel Einfallsreichtum verwendet wird. Wenn ich »Le Monde« Glauben schenken darf (was ich zuweilen tue), haben Bevormundung und Zensur in diesem Falle indes eine neue Qualität erreicht. Die aufgeweckten Kritiker der französischen Tageszeitung weigerten sich strikt, Formulare zu unterzeichnen, in denen sie hätten zusagen müssen, nichts über die Handlung des Films und dessen Figurenkonstellationen zu enthüllen. (Link) Wie schreibt man eine vertrauenswürdige Filmkritik ohne solch unverzichtbare Informationen? Die Redaktion entschied sich, ihn statt dessen in der ersten regulären Vorführung am Donnerstagmorgen um neun Uhr zu sichten (mache ich auch oft, da ist es billiger, nicht so voll und man ist nicht selten der Jüngste im Publikum). Ich werde morgen früh an den Pariser Kollegen denken und muss zugeben, bin auch ein wenig neugierig, was er wohl schreibt.

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