Schirmherrschaft

»Sparrow« (2008). © Mfa

Ich würde es gern glauben - beinahe ebenso gern, wie ich an dem Mythos festhalten möchte, der Auslöser der Studentenproteste im Pariser Mai 1968 seien die Demonstrationen gegen die Absetzung Henri Langlois' als Leiter der Cinémathèque francaise gewesen. Der Verführung, an der Legendenbildung mitzuwirken, ist auch diesmal schwer zu widerstehen. Allzu bestechend ist die Idee.

Vor einigen Tagen weckte ein Artikel in der französischen Tageszeitung "Libération" meine Aufmerksamkeit, der eine tollkühne Verbindung zwischen der Regenschirmrevolution in Hongkong und Johnnie Tos Gangsterkomödie Sparrow knüpft. Das atemraubende Regenschirm-Ballett am Ende des Films, behauptet der Kritiker Julien Gerster, ahne die aktuellen Proteste voraus. So etwas liest man doch immer gern: filmische Imaginationen als Inspirationsquelle realer Ereignisse. So sehr mich die Sequenz auch begeisterte, als ich sie vor einigen Jahren auf der Berlinale sah - als politischen Appell habe ich sie bislang nicht aufgefasst. Für mich war sie eher ein Beleg für Tos besondere Empfindsamkeit für das launenhafte Klima seiner Heimat. Ein unverhoffter tropischer Regenguss spielt immerhin auch in PTU eine wichtige Rolle, wo eine nächtliche Polizeipatrouille mit wasserfesten Uniformjacken ausgestattet wird.

Zweifellos dürfte der Regisseur nicht schlecht über dieses neue Kabinettstück französischer Deutungsfreude staunen, fiele ihm der Artikel in die Hände: Soll er doch tatsächlich als Erster Regenschirme als Metapher für die Malaise Hongkongs gefilmt haben! Fürwahr, welches Privileg für einen Filmemacher, der Verlängerung seiner Phantasie in den aktuellen politischen Aufruhr beiwohnen zu dürfen! Wäre das tatsächlich der Fall, dürfte man den pro-demokratischen Demonstranten herzlich zu ihrem Filmgeschmack gratulieren. Überdies ist es der Frage würdig, weshalb sie so massenhaft auf dieses Requisit zurückgreifen. Die sonst in dieser Jahreszeit zu erwartenden Tropengewitter blieben dem Vernehmen nach aus. Allerdings waren die Demonstranten gut beschirmt gegen die Sonne, die statt dessen vom Himmel herunter brannte - und nicht zuletzt gegen das Tränengas, das die Polizei einsetzte.

Gerster weiß seine verstiegene These durchaus argumentativ zu untermauern. So stellt er beispielsweise fest, dass die schöne Unbekannte, die im Film die Pläne eines Quartetts liebenswürdiger Taschendiebe durchkreuzt und ihm wiederholt Kränkungen zufügt, aus Festlandchina stammt. Und der Titel stiftende Vogel (Man jeuk im Original) ist nicht nur Schutzpatron der Diebe, sondern auch der Wahrsager. Ich selbst könnte (im Rückgriff auf die Kritik, die ich zum deutschen Kinostart von Sparrow für epd Film schrieb) ebenfalls ein Stück allegorischen Unterfutters hinzufügen: Verschmitzt stellt dieser, wie ich damals schrieb, sorglos flanierende Großstadtfilm die Souveränität in Frage, mit der wir uns im öffentlichen Raum zu bewegen glauben.

Wenn Ihnen all das zu abwegig ist, Sie aber dennoch gern mehr erfahren würden über das Verhältnis des Hongkong-Kinos zur aktuellen politischen Situation, empfehle ich Ihnen einen aufschlussreichen Beitrag aus dem China-Blog der "New York Times". Dort werden Sie nicht nur darüber informiert, welche Filmstars die Proteste ihrer Landsleute unterstützen, sondern auch auf eine Liste von Filmen verwiesen, die in den letzten Jahren das Unbehagen über die sozialen Umbrüche und den Einfluss Festlandchinas reflektieren. Es fand mannigfach allegorischen, bisweilen auch konkreteren Ausdruck. Johnnie To ist auf dieser Liste prominent vertreten, aber auch Ann Hui, deren Filme seit langer Zeit ein zuverlässiger atmosphärischer Seismograph des gesellschaftlichen Wandels in der ehemaligen Kronkolonie sind.

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