Netflix: »Ein ganzer Kerl«
© Mark Hill/Netflix
Ähnlich wie es Schriftsteller*innen gibt, deren Werke als zeitlose Klassiker gelten und entsprechend immer wieder aufs Neue das Interesse von Filmschaffenden wecken, gibt es auch solche, deren Namen untrennbar und ausschließlich mit einer ganz bestimmten Zeit verbunden scheinen. Tom Wolfe fällt definitiv in letztere Kategorie: Sein (nach langen Jahren als Journalist verfasster) Debütroman »Fegefeuer der Eitelkeiten« gilt bis heute als Literatur gewordener Inbegriff der 1980er Jahre. Doch nach dem Flop von dessen Verfilmung und Nachfolgewerken, die den enormen Erfolg nie wiederholen konnten, darf man wohl sagen, dass der 2018 verstorbene Wolf schon lange nicht mehr in Mode war.
Dass sein Name trotzdem Top-Talente in Hollywood anlockt, beweist nun »Ein ganzer Kerl« (im Original: A Man in Full), die sechsteilige Adaption seines gleichnamigen Romans von 1998. David E. Kelley, der Mann hinter Erfolgen wie »Ally McBeal« oder »Big Little Lies«, verantwortet die Serie als Autor und Showrunner, Regina King hat – als erstes Projekt seit ihrem gefeierten Debütfilm »One Night in Miami« – für drei Folgen die Regie übernommen, und zum Ensemble gehören Jeff Daniels, Diane Lane und Lucy Liu. Und dann gibt's gleich in der ersten Folge auch noch einen Gastauftritt von Country-Pop-Superstar Shania Twain.
Dass die Sängerin bei der Geburtstagsparty von Immobilienmagnat Charlie Croker (Daniels) in Atlanta auftritt, signalisiert uns, wie wohlhabend und einflussreich dieser Protagonist wohl sein muss. Viel mehr Zeit für Einführung und Backstory bleibt allerdings nicht, denn direkt nach dem rauschenden Fest setzt auch schon Crokers Niedergang ein. Eine seiner Banken fordert Darlehen in Milliardenhöhe zurück, mit seinem Imperium gerät auch die Gesundheit ins Wanken. Derweil versucht sein ehemaliger Wegbegleiter Ray (Tom Pelphrey) von der Krise zu profitieren und nebenbei mit Crokers Ex-Ehefrau (Lane) anzubandeln, während Anwalt Roger (Aml Ameen) parallel nicht nur dem amtierenden Bürgermeister im Wahlkampf helfen soll, sondern auch für den im Gefängnis landenden Ehemann von Crokers Assistentin kämpft.
Es sind ausgesprochen viele Figuren und Plot-Elemente, auf die »Ein ganzer Kerl« die Aufmerksamkeit verteilt, und die meisten von ihnen sind so oder so ähnlich auch in Wolfes Romanvorlage vorhanden. Das wirkt manchmal etwas disparat, ist dem Unterhaltungswert aber durchaus zuträglich, denn Crokers Erzählstrang alleine wirkt wenig spannend und die gezielt herausgearbeiteten Verweise auf Donald Trump führen nicht wirklich weit.
In den schwächeren Momenten merkt man der Geschichte die Herkunft aus den späten Neunzigern zu sehr an; da müssen dann doch nächtliche Zigarren in Büros geraucht werden und man plustert die Machismo-Dialoge mit veraltetem Banker-Sprech aus dem 20. Jahrhundert auf. Aber es passiert eben auch genug – und die Leistungen aller Beteiligten sind zu souverän –, als dass man abschalten wollen würde.
OV-Trailer
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