Amazon: »One Night in Miami«
Kommen ein Bürgerrechtler, ein Footballspieler, ein Musiker und ein Boxer in ein Hotelzimmer . . . Für einen famosen Witz taugt diese Prämisse womöglich nicht, als Theaterstück allerdings schon, wie Kemp Powers mit seinem 2013 in Los Angeles uraufgeführten Werk »One Night in Miami« bewies. Und auch starkes Kino (oder eben: Streaming) lässt sich daraus machen, das zeigt nun Oscar-Gewinnerin Regina King mit ihrem ersten Film als Regisseurin.
Im Februar 1964 treffen sich in Miami Malcolm X (Kingsley Ben-Adir), NFL-Profi Jim Brown (Aldis Hodge), Sam Cooke (Leslie Odom Jr.) und Cassius Clay (Eli Goree), um den Sieg des Letzteren im Kampf gegen Sonny Liston zu feiern. In Malcolms Zimmer im Hampton House Motels & Villas steht allerdings keine ausschweifende Party auf dem Programm, sondern ein Abend zu viert, mit Vanilleeis und intensiven, auch hitzig geführten Gesprächen.
Dass die vier Männer, allesamt jung, schwarz, erfolgreich und stolz, auch im echten Leben befreundet waren, ist verbürgt, doch worüber sie in jener Nacht diskutiert haben könnten, ist natürlich ebenso Spekulation wie die Sorte des Speiseeises, das der streng muslimische Gastgeber statt Alkohol als einzige Partysünde auffährt. Doch Powers, der aktuell gerade erst als Regisseur und Autor mit Pixars »Soul« begeisterte und die Drehbuchadaption selbst verantwortete, und King legen nahe, dass sich ihre Unterhaltungen doch ähnlich zugetragen haben könnten, so wahrhaftig muten sie an.
Clay, der an jenem Abend seinen Übertritt zum Islam verkünden will (und bald Muhammad Ali heißen wird), ist nicht der Einzige der Gruppe, der vor einschneidenden Veränderungen steht und innere Kämpfe ausficht. Cooke muss sich immer wieder fragen, ob er mit seinen poppigen Soulnummern zu sehr den Geschmack eines weißen Publikums bedient, derweil Brown ein Leben nach dem Sport plant und mit Rio Conchos gerade seinen ersten Western gedreht hat. Und Malcolm X, eigentlich die treibende Kraft hinter Clays Eintritt in die Nation of Islam, ist seinerseits so desillusioniert von dessen Führung, dass er selbst nach neuen Wegen für seinen Aktivismus sucht.
Kurze Expositionen und vereinzelte biografische Referenzen genügen in »One Night in Miami«, um erstaunlich klare Persönlichkeitsbilder dieser vier bis heute berühmten Männer zu entwerfen. Doch natürlich geht es hier weniger um die Lebensgeschichten der Protagonisten als um die Fragen, die sie umtreiben. Erstaunliches entfaltet sich dabei aus den Debatten, die hier ganz bewusst ausschließlich zwischen Schwarzen, also in Abwesenheit von Weißen, geführt werden. Nicht nur entsteht ein sehr präzises Stimmungsbild jener ganz bestimmten Zeit in der amerikanischen Geschichte, als die Bürgerrechtsbewegung gerade erst richtig an Fahrt aufzunehmen begann. Sondern sie reichen auch weit hinein in unsere Gegenwart. Mit welchen Mitteln für Gleichberechtigung und Veränderung gekämpft werden muss, welche Verpflichtungen daraus entstehen, schwarz und erfolgreich zu sein, welche Unterschiede schon ein hellerer Hautton macht oder wo in der Kunst Ausverkauf und Verrat von Idealen beginnen – all diese Themen, die hier ungemein packend und facettenreich zur Sprache kommen, sind bis heute wichtig.
Als Regisseurin gelingt es King, den Theaterursprüngen von »One Night in Miami« treu zu bleiben, sich aber trotzdem Ausbrüche – etwa auf das nächtliche Moteldach – zu gönnen. Nie schnürt das Setting dem Film die Luft ab, und auch von Langeweile kann trotz der Dialoglastigkeit keine Rede sein. Das verdankt sich – neben stimmungsvollen Kostümen, Kulissen und Bildern – natürlich auch dem enorm charismatischen Quartett in den Hauptrollen. Alle vier Schauspieler sind exzellent, doch Ben-Adir, der gegen den großen Schatten seiner Figur genauso anspielen muss wie gegen den von Denzel Washington, darf trotzdem gesondert hervorgehoben werden.
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