Paramount+: »The Eternal Daughter«
Den Ruf, sich mit jeder Rolle neu zu verwandeln und letztlich alles spielen zu können, hat Tilda Swinton schon lange weg. Doch auch eine Verwandlungsmeisterin wie sie, die schauspielerisch kein Risiko zu scheuen scheint und bereits Männer, Hexen und Zwillinge verkörpert hat, findet noch neue Herausforderungen, denen sie sich zum ersten Mal stellen kann. So wie in »The Eternal Daughter«, wo sie nun gleichzeitig Mutter und Tochter spielt.
Julie Hart (Swinton), selbst kinderlos, ist Filmemacherin und hegt die Absicht, einen Film über ihre eigene Mutter Rosalind zu drehen. Gemeinsam verbringen sie im Vorfeld von deren Geburtstag einige Tage in einem abgelegenen eleganten Landhotel, wo sich außer einer unmotivierten jungen Rezeptionistin (Carly-Sophia Davies) und einem freundlichen Hausmeister (Joseph Mydell) keine Menschenseele aufzuhalten scheint. Einst gehörte das herrschaftliche Anwesen Rosalinds Familie, doch die Geister der Vergangenheit sind womöglich nicht die Einzigen, die das von Nebelschwaden umwaberte Hotel heimsuchen. Zumindest erscheint es Julie zusehends so, die eigentlich in erster Linie ihre noch nicht allzu lange verwitwete und größtenteils im Bett liegende Mutter glücklich wissen will, aber selbst angesichts lauter unheimlicher Geräusche, des Verschwindens von Rosalinds Hund und mangelnder Fortschritte bei der Drehbucharbeit immer mehr in einen Zustand nervöser emotionaler Anspannung gerät.
Regisseurin Joanna Hogg, deren Arbeiten es hierzulande noch kaum je in die Kinos schafften und auch bei Streamingdiensten praktisch nicht zu finden sind (löbliche Ausnahme zum Zeitpunkt unseres Redaktionsschlusses: »Exhibition« und »Unrelated« bei MUBI), begibt sich mit ihrem sechsten Spielfilm vermeintlich auf Gruselterrain. »The Eternal Daughter«, der 2022 im Wettbewerb von Venedig Premiere feierte, nutzt aber natürlich seine Spukschloss- und Gespenster-Elemente lediglich als Vehikel, um ganz andere Themen in den Fokus zu nehmen.
Dass hier etwas nicht stimmt, ist offensichtlich, doch es geht nie wirklich darum herauszufinden, ob nun übernatürliche Kräfte am Werk sind oder nicht. Stattdessen erzählt Hogg nuanciert von Erinnerung und Trauer, künstlerischem Arbeiten und den feinen, doppelbödigen Komplikationen im Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern.
Gut möglich, dass das Sounddesign und auch die wunderschönen 16-mm-Bilder von Kameramann Ed Rutherford, die beide entscheidenden Anteil am Gelingen dieser ruhigen, vermeintlich ereignislosen und letztlich betörend zarten Schauergeschichte haben, beim Streamen auf heimischen Bildschirmen nie ihre volle Wirkung entwickeln werden. Swintons eindrucksvolle, komplexe Leistung in dieser (technisch übrigens reibungslos umgesetzten) Doppelrolle dürfte allerdings kaum an Kraft verlieren, ganz gleich wo und wie man sich Hoggs atmosphärisch bislang dichtesten Film ansieht.
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