ARD-Mediathek: »Oderbruch«
© ARD Degeto/Syrreal Dogs GmbH/CBS Studios/Repro
Am Anfang steht ein gewaltiger Leichenberg mitten auf einem einsam gelegenen Feld: Wer bitteschön soll diesen Riesen-Haufen an verwesenden Menschen- und Tierkörpern da unbemerkt hingestapelt haben? »Oderbruch«, von der ARD als Mystery-Crime-Serie angekündigt, verblüfft und schockiert mit einem ziemlich unappetitlichen Einstieg. Das müffelt zuerst nach Effekthascherei. Aber als eine Metapher für das Auf bäumen gegen das eigene Schicksal wird der Leichenberg am Ende sogar einigermaßen Sinn ergeben.
Auf Ekel und Schaudern folgt erst einmal eine Polizei-Ermittlung, begleitet von mysteriösen Andeutungen und unheimlichen Rückblenden. Polizist Roland (Felix Kramer) und seine Jugendfreundin Maggie (Karoline Schuch), eine ehemalige Polizistin, kehren wegen des spektakulären Leichenbergs in ihre Heimat zurück und werden mit verstörenden Erinnerungen und übernatürlichen Kräften konfrontiert. Insbesondere Karoline Schuch prägt mit ihrem handfesten und entschlossenen, aber auch gefühlvollen Spiel die Serie. Felix Kramer ist der sympathische und tragisch verstrickte Sidekick. Julius Gause überzeugt als Magdalenas jüngerer Bruder Kai in einer anspruchsvollen Grenzgänger-Rolle. Und Liedermacherin Bettina Wegner überrascht mit einer reifen Darstellung in der zumeist schweigsamen Nebenrolle als Magdalenas Mutter Minna.
Mit »Sløborn« erzählten Christian Alvart, Arend Remmers und Adolfo J. Kolmerer während der gerade ausgebrochenen Corona-Pandemie von einer tödlichen Seuche. Für den nächsten Bruch in der vermeintlich geordneten, sicheren Gegenwart greifen sie auf einen klassischen Mythos zurück. Das Vampir-Genre fordert seinen Tribut, aber das Trio verzichtet vollkommen auf lichtscheue Fledermäuse und imposante Eckzähne. Blut fließt gelegentlich, aber nicht in dem Maß, das nach dem Leichenberg-Auftakt zu befürchten war.
Zwar ist die Genre-Variante mit Wesen, die gegen ihre Sucht und mit der eigenen Verzweiflung kämpfen, keine neue Idee. Das Übernatürliche in ein Szenario mit realitätsnahem Anspruch einzubinden, gelingt jedoch überraschend gut, einschließlich der Anspielungen auf Elite-Internate und rassistische Ideologien. Auch wenn Lucas Gregorowicz, der gerade erst aus der »Polizeiruf 110«-Reihe ausgestiegen ist, hier erneut einen polnischen Kommissar spielt, greift »Oderbruch« weit über den Horizont eines Fernsehkrimis hinaus.
Der Titel hebt zurecht den Schauplatz hervor: Das dünn besiedelte Oderbruch wird hier als vergessene Landschaft mit vergessenen Menschen in Szene gesetzt, mal als düstere Horror-Kulisse, mal als herrlicher Naturraum. Die reale Vergangenheit – die verlustreiche Schlacht im Zweiten Weltkrieg, das verheerende Hochwasser im Jahr 1997 – fließt in die Fiktion mit ein. Bis heute werden hier angeblich immer noch Soldatenleichen aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. »Der Boden im Oderbruch ist mit Blut getränkt«, lautet dazu der unvermeidliche Drehbuchsatz.
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